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Nürnberger Segnung

■ Warten wortlos: Ein Vormittag im Arbeitsamt Charlottenstraße

Niemand spricht. Kein Husten. Nur ab und zu fallen Schweißtropfen auf den Boden des Flurs. Alles starrt einige auf Bildschirme, hinter denen Arbeitsplätze versteckt sind.

Arbeitsamt Charlottenstraße. Keiner schaut den anderen an. Wer hier ankommt, tut dies in der Haltung des Unterwürfigen. Ein Mann sitzt neben mir, versteinert sein Gesicht - sein Gegenüber murmelt ein leises Gebet.

Nur zwei Stühle weiter der, der seine Finger heftigst in der Hosentasche bewegt, um endlich den Krampf zu verlieren. Wirkliches Vertrauen strahlt nur jene Frau dort hinten aus, die hemmungslos ihre rosarote Besucherkarte streichelt - sie hält wenigstens eine Legitimation in ihren Händen.

Dieser Flur ist nur der Anfang. Später gilt es, Stockwerke zu überwinden: Meine Güte, dieser Warteraum ist wirklich Strafe genug, ausgestattet mit dem verheißungsvollen Charme einer Bahnhofsmission. Auch hier kein wärmender Ton, nur ein Lautsprecher, dessen Rülpsen nichts als adäquater Ausdruck für die Wertschätzung der Wartenden ist.

So etwas wie Scham steht einigen auf den Gesichtern. Scham, so unsensibel zusammengewürfelt zu sein: die ehemalige Chefsekretärin neben dem bemalten Punk und Ali, dem arbeitslosen Bauarbeiter. Ein Stilleben, das man nur gemeinsam im Dritte-Klasse-Waggon erreichen kann.

Befangenheit und Trauer. Doch eigentlich sollten wir uns die Stiefel ausziehen und ein Tänzchen wagen... meinst du nicht, Stockfisch gegenüber - wozu sonst hast du die Brillantine im Haar? Die Aufforderung zum Tango aber erfolgt ausschließlich in „Kabine 5“, wo nach eingetretenem Schaden die Versicherungssumme ausgezahlt wird. Das schlägt manch steile Falte aus der Stirn oder - je nach Ergebnis heftigst auf den Magen. Die Zukunft ist abgebildet in ihren Augen, nicht in den Sternen: eine Zukunft ohne Kabine, ohne Büro, ohne Drehbank.

Schon jetzt sind alle von der Qual des Wartens gezeichnet, fast alle. Zum Beispiel der, der dort still lächelnd die Börsenkurse studiert. Und der wenig behaarte Intellektuelle neben ihm, der den Essay „über die Dummheit“ liest. Völlig sinnlos studiert ein bärtiger mit Brille die Zeitschrift 'Markt und Chance‘ - „Dummkopf, die Chance verfault unter deinem Absatz. Lös dich von ihr und gehe auf den Markt der Möglichkeiten“, murmelt die Frau neben mir, ohne überhaupt die Lippen zu bewegen.

Es ist kurz vor jenem Abend, den es an diesem Ort kaum zu feiern gilt. Noch kämpft die Frau dort vorne um ihr Geld, lauthals betont sie das, was in gehobenen Kreisen die „persönliche Anwartschaft“ genannt wird. Es nutzt nichts. Die Antwort fährt ihr ins Genick: „Nein, kein Geld!“ Sie gibt auf: „Ich wußte doch nicht..., keiner sagte mir...“

Nie sagt jemand etwas, außer, daß alles seine Ordnung hat. Die Hauptsache eben. Auf Knopfdruck verlassen alle den Raum ihrer Niederlage. „Morgen früh, um halb neun Uhr“, tröstet einer von denen, die bleiben dürfen.

Detlef Berentzen

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