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„Antiimperialistische Solidarität“ neu entdeckt

■ IWF auch im Osten / DDR-Gruppen planen zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen während der IWF- und Weltbanktagung in West-Berlin / Den Staat auf die Probe stellen, wie ernst „antiimperialistische Solidarität“ gemeint ist / Westbanker in Ost-Hotels

Bereits am vergangenen Wochenende wurde in Ost-Berlin „antiimperialistische Solidarität“ ganz groß geschrieben. Mehr als 250.000 Besucher strömten den Meldungen Ost -Berliner Zeitungen zufolge zum Solibasar der Journalisten auf den Alexander Platz, um bei ofenfrischen Brezeln, Leierkastenmusik und Versteigerungen aller Art nicht nur Volksfeststimmung zu genießen, sondern auch gemäß dem offiziellen Motto zu bekunden: „Unser Herz schlägt mit allen, die für Freiheit, nationale Unabhängigkeit, für Menschenrechte und gesellschaftlichen Fortschritt kämpfen.“

Bei Ende September in West-Berlin stattfindenden IWF-und Weltbank-Tagung schlägt allerdings zunächst das devisenarme Herz der DDR und zwar in aller Stille. In den DDR-Medien, berichten aufmerksame Ost-Berliner Zeitungsleser, sei darüber nichts zu erfahren. Vor allem nichts über die DDR -Unterstützung für die in West-Berlin tagenden Banker. Die beiden Interhotels in Ost-Berlin, darunter auch das neueröffnete Grand Hotel, das sich nach einem DDR-Witz vom alten Grand-Hotel nur dadurch unterscheidet, daß die herrschende Klasse heute nicht mehr von drinnen nach draußen schauen kann, sind bereits voll ausgebucht. Wie Senator Rexrodt gestern mitteilte, hätten sich dort Vertreter der internationalen Banken auf Eigeninitaitive eingemietet. Luxuslimousinen sollen die Herren täglich zum West-Berliner Tagungsort im ICC bringen.

Während die DDR sich offiziel in Schweigen hüllt und sich wie beim Solibasar in „caritativer antiimperialistischer Solidarität übt“, so ein Ost-Berliner Friedensbewegter, wollen Oppositionsgruppen vom 23. bis 30. September eine eigene Aktionswoche zum IWF veranstalten. Zwar ist die DDR im Gegensatz zu Polen, Ungarn und Rumänien nicht Mitglied im IWF. Dennoch sei es jetzt an der Zeit, meinen viele, über internationale Wirtschaftsprobleme zu reden und dies endlich auch zum Thema der Oppositionsgruppen zu machen. In der sogenannten „Postdamer Erklärung“, von mehreren DDR-Gruppen unterzeichnet und gemeinhin als „Grundstein“ für die DDR -weite Anti-IWF-Arbeit betrachtet, heißt es denn auch: „Die jüngsten Entwicklungen in Jugoslawien, Polen, Ungarn und Rumänien verdeutlichen, daß auch realsozialistische Länder durch ihre unbewältigten wirtschaftlichen Probleme in den Sog von Entwicklungen auf dem internationalen Kapital- und Geldmarkt geraten. Der direkte und indirekte Druck von IWF, Weltbank und großen Privatbanken ruft in solchen Ländern bevölkerungsfeindliche Maßnahmen auf den Plan.“ In einem Offenen Brief der Initiative „Konkret für den Frieden“ an die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in der DDR und deren Gemeinden heißt es zusammenfassend: „Wir sitzen also mitten im Schuldenkarussel.“

Mobilisierend wirkt nicht zuletzt die geografische Nähe zum Tagungsort und die von den DDR-Behörden geduldete und weger der Devisen sogar erwünschte Übernachtung von Weltbankern in Ost-Berlin. Teilnehmer der IWF-Tagung, lautet hingegen eine zentrale Forderung an die DDR-Behörden, sollten nicht unterstützt werden. „Offensichtlich ist das aber nicht der Fall“, so ein Ost-Berliner Friedensbewegter, „aber es zeigt unter welcher Maxime hier Solidarität betrieben wird.“ Mit der Aktionswoche will man nun die Staatsdokrin der „antiimperialistische Solidarität“ beim Wort nehmen.

An der Aktionswoche beteiligen sich Dritte-Weltgruppen, Friedenskreise und kirchliche Gemeinden mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktivitäten. Herzstück der Woche soll ein zweitägiges Seminar sein, auf dem über Schuldenkrise und Waffenhandel, aber auch über den Umbau in realsozialistischen Ländern und daraus resultierende „regionale Handlungsstrategien“ debattiert wird. Die Entwicklung in der Sowjetunion, so ist man sicher, werde dabei bestimmt thematisiert. Das Seminar, das in den Räumen der Friedrichsfelder Kirchengemeinde vom 23. bis 25.September, stattfindet, wird mit einem „Solikonzert“ eröffnet. Um internationale Vernetzung will man sich aber nicht nur theoretisch, sondern auch ganz konkret bemühen. Für weitere Infoveranstaltungen zu einzelnen Ländern wurden internationale Gäste eingeladen, Wirtschaftsexperten aus dem Ostblock, aber auch Vertreter von oppositionellen Gruppen, u.a aus Südafrika, Brasilien, Chile, Polen und der CSSR. Offen ist bislang nur die Frage, ob die geladenen Gäste auch tatsächlich einreisen können. Darüber hinaus soll ein Aktionsbüro eingerichtet werden, und möglicherweise täglich eine Tageszeitung erscheinen, die sowohl über die Aktionswoche wie über den IWF informiert.

Geplant ist auch ein „Pilgerweg“ zwischen drei Ost-Berliner Kirchengemeinden sowie eine offizielle Demonstration, die, sollte sie zustande kommen, die erste, nicht von staatlichen Gruppen angemeldete Demo wäre. Sie ist zwar bei den zuständigen Behörden, dem Präsidenten der Deutschen Volkspolizei und dem Ministerium für Inneres beantragt worden, eine Antwort steht jedoch bislang aus. Es gibt wohl Schwierigkeiten mit der Begründung, wird in Ost-Berlin gemunkelt. Schließlich soll die Demo unter der Parole „Solidarität mit den sich im Widerstand befindlichen Völkern gegen die imperialistische Ausbeutung“ laufen. Auf jeden Fall wollen die Veranstalter aber dafür sorgen, daß die von DDR-Behörden geschätzte „Sicherheit und Ordnung“ sichergestellt wird. An der Demo, die rund um die Uhr stattfinden soll, sollen nicht mehr als jeweils 15 Personen teilnehmen. Wie auch immer die Antwort ausfällt, in Ost -Berlin wird bereits gescherzt, daß die Aktionswoche auch zu einer Aktionswoche der Sicherheitsbehörden werden könnte.

Karla Trux

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