: Ein Archiv, das keiner haben möchte
Ein neues Kapitel in der unendlichen Geschichte des von den Amerikanern unter Verschluß gehaltenen Berlin Document Centers / Oder: was befürchtet die SPD von einer parlamentarischen Anhörung über das NS-Archiv? / Eine Rüge für SPD-Abgeordnete und Gerichte über ein Helmut-Schmidt-Dossier im Document Center ■ Von Klaus Hartung
Die Geschichte des Berlin Document Centers (BDC) ist an Skandalen reich genug, daß ein paar parlamentarische Zweideutigkeiten leicht übersehen werden können. Als im Februar dieses Jahres das Verschwinden von 80.000 Akten der über 100 Millionen Personaldokumente des Dritten Reiches bekannt wurde, stand das US-Archiv am Wasserkäferweg in Berlin-Zehlendorf im Brennpunkt öffentlicher Spekulationen: Es wurde gerätselt, ob die Akten für gutes Geld in den Militariahandel gegangen sind, oder zu Erpressungen ehemaliger NS-Täter benutzt wurden.
Die Tatsache befremdete, daß Leute mit Geld und Interesse sich in dem chaotischen, fußballfeldgroßen unterirdischen Lager der deutschen Vergangenheit offenbar mühelos bedienen konnten, während ein Heinz Galinski, Vorsitzender des Jüdischen Zentralrates jahrelang antichambrieren mußte, um Einsicht in NS-Akten zu erhalten.
Dieser Aktenklau nun war Anlaß für die Grünen und für Freimut Duve von der SPD, in Sachen Document Center initiativ zu werden. Am 16.März wollten die Grünen Vollmer, Lippelt u.a. in einer kleinen Anfrage wissen, warum die Verhandlungen über die Übernahme des Document Centers von den Amerikanern nicht von der Stelle kommen, was die politischen Hintergründe sind. Vor allem wollten sie Auskunft über das Thema Mikroverfilmung, dem angeblich praktischen Hindernis für die Übernahme des Archivs.
Den Amerikanern zufolge ist seit geraumer Zeit die Mikroverfilmung der Akten abgeschlossen; der Bundesregierung zufolge ist die Mikroverfilmung erst bis zur Hälfte gediehen.
Auch Freimut Duve (SPD) fragte zur selben Zeit nach dem Stand der Verhandlungen. Die Grünen brachten am 2.März auch einen Entschließungsantrag ein. In ihm forderten sie unverzügliche Übernahme der Aktenbestände durch die Bundesrepublik, weiterhin „archivrechtliche Voraussetzungen“, die verhindern sollten, daß die Personalakten von NS-Tätern unter den Datenschutz fallen und schließlich ein „Großforschungszentrum 'Erforschung der Geschichte und der Grundlagen des Nationalsozialismus'“.
Antworten liefen ein, aber sie machten die Geschichte nicht klarer. Franz Kroppenstedt, Staatssekretär des Innenministers antwortete zum Stand der Übernahmeverhandlungen: „Seit Jahren bemüht sich die Bundesregierung um Übernahme. Das hierzu 1979/80 ausgehandelte Übernahmeabkommen wurde allerdings bislang nicht paraphiert, weil über einige wesentliche Voraussetzungen (!) - insbesondere die Frage der Mikroverfilmung - bis vor kurzem noch keine Einigung erzielt werden konnte.“
Am 30.Juni antwortete das Außenministerium auf die kleine Anfrage der Grünen. Danach haben „die Verhandlungen der Bundesregierung mit der US-Regierung 1980 zu einer Einigung geführt“. Allerdings sei der seit 1967 andauernde Verhandlungsprozeß „langwierig“ gewesen. Lakonisch wird festgestellt, es seien in der ganzen Zeit „keine formalisierten Anträge“ gestellt worden.
Kurzum, Einigung 1980 oder 1988, der Verhandlungsprozeß war aus ungenannten Gründen offenbar äußerst heikel. Aber, so wird angedeutet, an der Bundesregierung lag es nicht. Die Amerikaner wiederum geben seit Jahren das Gegenteil zu verstehen.
Der Direktor des BCD, Daniel P.Simon, hat keine Scheu den heiklen Hintergrund zu nennen. In einer Sendung des BBC 1978 bezeichnete er das Document Center als eine „politisch heiße Kartoffel“: „Ich denke eine Menge Leute sind noch sehr lebendig, die Mitglieder der SS oder der Partei waren...Ich bin sicher, brächte man ihre Namen in Verbindung mit ihren Aktivitäten, so würden sie und die deutsche Regierung in Schwierigkeiten kommen.“
So unklar sich die Bundesregierung über Stand und Art der Verhandlungen äußert, so klar ist sie in anderen Punkten: Selbstverständlich gelte Datenschutz ( mit Ausnahme der Strafverfolgung). Das bedeutet praktisch bei Übernahme des Archivs eine Verschlechterung der Forschungssituation. Vor allem wird das grüne Begehren nach einer Benutzungskonzeption abgelehnt. Überflüssig sei sie. Der Staatssekretär des Inneren, Spranger, erklärte auf einer Haushaltssitzung patzig, die Nutzung sei ja durch das Bundesarchivgesetz geregelt. Es „sei ihm neu, daß das Bundesarchivgesetz offene Fragen aufweise“.
Die grüne Forderung nach einer „Großforschungsstelle“ wird gar schlicht für absurd erklärt.
Auf der Haushaltsausschußsitzung vom 15.Mai wurde der grüne Entschließungsantrag von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Die Grünen geben sich damit nicht zufrieden. Sie wollen eine parlamentarischen Anhörung über Nutzung und Übernahme des BCD. In der Obleute-Sitzung des Haushaltsausschusses erläutert Antje Vollmer dieses Vorhaben. Der SPD Abgeordnete Nöbel signalisiert die Zustimmung seiner Partei, zieht diese aber bei der nächsten Sitzung zurück. Seine Fraktion wolle erst einmal die Berichterstattung des Innenministeriums über den Stand der Übernahmeverhandlungen abwarten. Es deutet sich an, daß die SPD nun lieber eine Anhörung vermeiden will. Warum?
In der hektischen Haushaltsausschußsitzung machte der CDU -Abgeordnete Neumann aus Bremen eine merkwürdige Andeutung: Eine „Behandlung der Vergangenheit“ - und dabei verwies auf den ehemaligen SPD-Dissidenten Karl-Heinz Hansen - „bringt die Dinge nicht weiter“. Diese Andeutung war auf die SPD gemünzt.
Der ehemalige SPD-Abgeordnete er hatte 1978 in einer „Panorama„-Sendung erklärt: „Tatsache ist, daß die deutsche Regierung nicht will, daß diese Dokumente (des BCD) genutzt werden, weil sie ehemalige Nazis decken will.“ Der damalige Justizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) empörte sich und sprach von der „verheerenden internationalen Wirkung“. Und der Parteivorsitzende Willy Brandt verstieg sich gar zu folgender Formulierung: „Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wirjetzt anfangen würden, nochmal das, was vor 35(!) Jahren ein gewisses (!) Ende gehabt hat, nochmal aufrollen zu wollen.“ Eine solche Argumentation wagt der heutige Bundeskanzler Helmut Kohl, 42 Jahre danach, nun nicht mehr öffentlich zu äußern.
Hansen wurde, ein einmaliger Fall, von der SPD -Bundestagsfraktion gerügt. Die Begründung frappiert: „Die SPD-Bundestagsfraktion weiß, daß es berechtigte Zweifel gibt, ob die Auseinandersetzung mit den Untaten des NS -Regimes nach dem Zusammenbruch immer angemessen geführt worden ist. Gerade darum weist sie die Unterstellungen des Abgeordneten Karl-Heinz Hansen ...zurück.“ - Nach einer solchen Vorgeschichte fragt man sich natürlich umso mehr, warum plötzlich die SPD zehn Jahre später so zögerlich mit der Anhörung umgeht. Gerüchte über ein Helmut-Schmidt -Dossier im Document Center fallen einem dann natürlich ein. Nach der Sommerpause jedenfalls sollte die SPD-Fraktion die Chance nutzen, diese Zweideutigkeiten aufzulösen.
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