Kampagne für Gefangenenhilfe in Israel

Liberale Israelis gründen „Komitee gegen Administrativhaft“ / Ehemalige palästinensische Gefangene berichteten über die Internierungslager der Armee / Opposition griff Verteidigungsminister Rabin in Knesset-Debatte an, er rede „wie ein Nazi“  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Ehemalige Insassen des Internierungslagers Keziot „Ansar Drei“ in der Negev-Wüste wandten sich an liberale Kreise in Israel und baten um deren Intervention, damit den Masseninternierungen ein Ende gesetzt wird, die an Konzentrationslagerpraxis erinnert. In Israel wurde jetzt ein „Komitee gegen Administrativhaft und für Gefangenenhilfe“ gebildet, das Geld für Rechtshilfe sammelt, und auch versuchen wird, die den Gefangenen vorenthaltenen Dinge des täglichen Gebrauchs - vom Waschmittel bis zu Büchern zur Verfügung zu stellen. Auch werden mehr Rechtsanwälte benötigt, die sich für individuelle Fälle einsetzen.

Das Komitee hielt bereits in Tel Aviv ein öffentliches „Hearing“ ab, bei dem vier Palästinenser aus Ost-Jerusalem und Ramallah von ihren Erfahrungen in verschiedenen militärischen Internierungslagern berichten konnten. Für die vielen Israeli im Publikum schienen die erschütternden Einzelheiten bei der Mißhandlung Gefangener „nicht viel Neues zu bringen“, und im allgemeinen gibt es hier ein „Gewöhnungs-Syndrom“: „Sobald man nicht selbst direkt betroffen ist, adaptieren sich eine Gesellschaft und der einzelne viel zu leicht an die äußeren Umstände“, sagte ein Soziologe der Tel Aviver Universität.

Bei dem Tel Aviver „Hearing“ schilderte ein Schriftsteller aus Ramallah, Rassan Abdalla, die furchtbaren Zustände und Quälereien in den verschiedenen Gefangenen-Durchgangslagern der Mitlitärpolizei. Den meisten Internierten wird nicht einmal mitgeteilt, warum sie verhaftet wurden. Die Internierten bekommen Nummern und werden namenlos, aber das ist nur ein kleines Detail im Rahmen des Dehumanisierungsprozesses. Die Lager sind überfüllt, zum Teil kann man dort wegen Platzmangel nur „in Schichten“ schlafen, die hygienischen Umstände sind katastrophal, im Wüstenlager Keziot herrscht Wassermangel, und die Internierten sind den Schikanen der oft zu radikalen Rechtsparteien gehörenden Wachen ausgesetzt, von der Außenwelt total isoliert und beschäftigungslos. Als einer von 15 palästinensischen Schriftstellern in „Ansar 3„-Haft litt Abdalla auch besonders an der Abwesenheit von Schreibmaterial. Ärztliche Behandlung und Medikamente, die der chronisch kranke Abdalla dringend benötigte, waren ihm während der Internierung versagt. Ghassan Abdalla gehört zu den Initiatoren des israelisch-palästinensischen „Friedenspakts“, den Schriftsteller beider Völker im Juni symbolisch unterzeichneten. Er glaubt, daß seine Administrativhaft mit dieser Initiative in Zusammenhang steht.

In einer fast leeren Knesset erklärte gestern Verteidigungsminister Rabin, daß die scharfen Maßnahmen gegen Palästinenser, inklusive Administrativhaft, fortgesetzt werden, „um ihnen zu zeigen, daß sie mit Gewalt nichts ausrichten werden“. Er riet den Bewohnern des Westufers und Gaza-Streifens, sich von der PLO zu befreien und dann mit Israel Verhandlungen aufzunehmen.

Die Knesset war zu einer Sondersitzung einberufen worden, bei der Oppositionsparteien gegen Zustände in „Ansar 3“ protestierten, die vor zwei Wochen zu der Erschießung von zwei Gefangenen durch Israel-Offiziere geführt haben. Verteidigungsminister Rabin gab zwar zu, daß die Bedingungen in Keziot „unbequem“ seien: Die einstweilige Aufrechterhaltung der Lager sei jedoch „das Gebot der Stunde“. Der „progressive“ Abgeordnete Matti Peled: „Brutale Verfolgung der Palästinenser ist Teil der weiterhin aufrechterhaltenen Regierungspolitik, die alle PLO -Friedensinitiativen strikte ablehnt.“ Zu turbulenten Szenen kam es, als der kommunistische Abgeordnete Charlie Bitton Rabin vorwarf, er „rede wie ein Nazi“. Danach wurde Bitton aus dem Plenarsaal gewiesen. Unterdessen wurde in Nablus ein Palästinenser von israelischen Soldaten angeschossen und lebensgefährlich verwundet, weil er die nächtliche Ausgehsperre mißachtet hatte. Ein Nachbar berichtete, der Mann habe für seinen an einer Lungeninfektion erkrankten Sohn einen Krankenwagen bestellt.