Ein Stauprojekt zerstört die Donau-Auen

■ Kann das österreichisch-ungarisch-slowakische Projekt noch gestoppt werden? / Von Martina Kirfel

Noch sind die Planer stolz auf ihre geplanten Stauseen („größer als der Suez-Kanal“). Doch das grenzübergreifende Projekt mit Staustufen in Ungarn und der Slowakei ist ökologisch wie ökonomisch eine Katastrophe: Die einzigartige Landschaft der Donau-Auen wird zerstört, und mit den Krediten aus Österreich wird sich Ungarn tief verschulden. Doch die Protestbewegung hat wieder Auftrieb bekommen, seit in der neuen ungarischen Führung auch Gegner des Projekts sitzen.

Noch liegen die ungarischen Dörfer Kisbodak, Lipot und Dunasziget an der Donau. Damit wird es bald vorbei sein. Vorbei auch mit der „wilden Donau“ zwischen Bratislava und Gabcikovo, vorbei mit 140 Quadratkilometern Auwald, Feuchtbiotopen und Flußinseln, vorbei mit einer der schönsten Kulturlandschaften Europas, dem Donauknie bei Nagymaros. Ein gigantisches Stauprojekt sieht vor, den Flußlauf der Donau auf einer Strecke von 200 Kilometern zu zerstören. Bei Dunakiliti soll ihm eine riesige Mauer den Weg versperren. Die Donau wird dann für 25 Kilometer ihr altes Bett verlassen, mehrere Kilometer nach Nordosten auf slowakisches Gebiet verschoben und dort durch einen Kanal geleitet werden. Durch die Dörfer Kisbodak, Lipot und Dunasziget wird dann nur noch ein kümmerlichen Rinnsal fließen. Das „Reich der tausend Inseln“ wird austrocknen, der Auwald sterben. Was der Kanal nicht trockenlegt, wird in den Fluten zweier Stauseen von je 60 Quadratkilometern versinken. Dabei wird das größte Trinkwasserreservoir Europas verlorengehen.

Das Ganze ist ein ungarisch-tschechoslowakisches Projekt, größer als der Suez-Kanal, „das größte Projekt dieser Art der Welt“, wie die Planer stolz behaupten.

Noch ist es nicht ganz so weit. „Seit dem Führungswechsel in der ungarischen Regierungsspitze hat sich das Klima verändert. Projekt-Kritiker können sich jetzt freier äußern, einige sind bis ins Parlament vorgerückt.“ Janos Vargha stellt das mit Befriedigung fest. Er ist Biologe und Mitglied des „Duna-Kör“ (Donau-Kreis), einer Initiative, die seit 1983 gegen das Großprojekt kämpft. Anfang 1987 verlor er deshalb seinen Arbeitsplatz. Die ungarischen Donauschützer - 15 Gruppen, die sich zur „Aktionsgemeinschaft Nagymaros“ zusammengeschlossen haben waren schon oft kurz davor aufzugeben. Repression und Berufsverbot hieß bisher die offizielle Antwort auf ihr Engagement. Doch seit Parteichef Kadar, für den das Staustufensystem ein Prestigeobjekt darstellte, nicht mehr im Amt ist, wird das Projekt selbst an höchster Stelle überdacht. „Kurz nach seinem Amtsantritt schrieb mir der neue Ministerpräsident Karoly Grosz persönlich einen Brief“, berichtet der Donauschützer und Oppositionelle Imre Mecs aus Budapest, der bereits 1986 eine Initiative für eine Volksabstimmung gegen Nagymaros gestartet hatte. „In dem Brief hat er mir versichert, daß der Ministerrat das Projekt neu überprüfen wird. Bei negativem Ergebnis der Untersuchung werde er nicht zögern, den Bau zu stoppen.“

Ende Mai konnten in Budapest mehr als viertausend Menschen ungehindert gegen die Donauzerstörung demonstrieren. Und im Juni stimmten dann im Parlament zum ersten Mal einige Abgeordnete - es waren immerhin 23 - gegen das Stausystem. Und vom 2. bis 3.September wird, ebenfalls in Budapest, eine Konferenz internationaler Wissenschaftler zu diesem Thema stattfinden.

Unterstützung bekommen die Projektgegener neuerdings auch in der ungarischen Presse. „Ein Jahrzehnt lang hasben wir einen Maulkorb getragen“, konstatiert ein staatlich angestellter Wasserexperte in der deutschsprachigen Budapester Rundschau vom 8.August. „Ein Großteil der ungarischen Öffentlichkeit schenkt heute sogar stichhaltigen Argumenten, die für das Projekt vorgebracht werden, keinen Glauben mehr“, erfährt man in derselben Zeitung. „Gefahren für die Umwelt“ und das Problem „einseitiger Information“ kommen jetzt auch in anderen Zeitungen wie der 'Magyar Nemzet‘ zur Sprache.

Solikomitees

Unterstützung kommt neuerdings auch aus Übersee. Vor allem in den USA, aber auch zum Beispiel in Australien haben Exil -Ungarn den „Ungarischen Umweltschutzfonds“ gegründet. Einer seiner Gründer, Professor Bela Liptak von der Yale -Universität, reiste kürzlich nach Budapest und traf dort sowohl mit der Bauleitung als auch mit den Projekt-Gegnern zusammen (siehe Interview). Vielleicht gelingt in Ungarn, was vor einem halben jahr in der Sowjetrepublik Lettland möglich war. Dort stoppten Umweltschützer das Stauprojekt Daugavpils, obwohl bereits 20 Millionen Rubel auf die Bauarbeiten verwendet und sogar Friedhöfe umgelegt worden waren.

Schwärzer als in Ungarn sieht es in der CSSR aus. Dort haben Desinformation und Repression erst gar keinen öffentlichen Protest aufkommen lassen. Zwar geißelten 1987 Mitglieder der Akademie der Wissenschaften in einem Gutachten, das auch veröffentlicht wurde, die Donauzerstörung und wiesen auf die gewaltigen Schäden auch für die slowakische Trinkwasserreservoirs hin. Auch kursiert derzeit in Bratislava ein Unterschriftenliste, die zumindest auf der ungarischen Seite - einen Baustopp fordert. Eine breite Protestbewegung entstand jedoch in der CSSR nicht.

Auf slowakischer Seite ist die Hälfte des Bauabschnitts Gabcikovo bereits fertig. Hier entstehen der fast bis nach Bratislava reichende erste Stausee und das gewaltige Kunstbett, das den Fluß zum Kraftwerk Gabcikovo leiten wird. Mit Hilfe des starken Gefälles der „wilden Donau“ sollen hier 700 Megawatt Stom im „Schwellbetrieb“ erzeugt werden. Das bedeutet, daß der Fluß jeden Tag für mehrere Stunden „angehalten“ wird. Um die anschließende Flutwelle zu kontrollieren, wird auf ungarischer Seite ein zweiter Stauraum geschaffen - 120 Kilometer lang und zirka 600 Meter breit - und das zweite Kraftwerk, Nagymaros, gebaut: mit lediglich 140 Megawatt Kapazität, also einem Fünftel des Werkes auf slowakischer Seite.

„Unter diesem Donauabschnitt“, sagt Janos Vargha vom Donau -Kreis, „liegt genug Trinkwasser für 10 Millionen Menschen. Das Großprojekt macht die Donau jedoch praktisch zu einem stehenden Gewässer und langfristig zur Kloake. Das Trinkwasserreservoir wird nicht mehr gespeist und dadurch für immer zerstört.“ Dabei brauchen die Ungarn dieses Reservoir dringend. Wegen der Nitratverseuchung durch die industrielle Landwirtschaft gibt es bereits heute 1000 ungarische Gemeinden, die ihr Grundwasser nicht mehr nutzen können und mit Tankwagen versorgt werden müssen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl dieser Gemeinden um 25 Prozent gestiegen.

Bedenken kommen auch noch von anderer Seite. „Das Projekt ist nicht nur ökologisch ruinös, es ist auch wirtschaftlich unrentabel“, sagt der ehemalige Raumplaner für diesen Donauabschnitt, Karoly Perczel, der 1986 wegen seiner Kritik an dem Stauprojekt seinen Job verlor. Bereits Mitte der achtziger Jahre war einigen Wirtschaftspolitikern aufgefallen, daß sich das Projekt „nicht rechnet“. Sie signalisierten damals der CSSR, mit der man 1977 den Bauvertrag abgeschlossen hatte, daß Ungarn das Geld für Nagymaros fehle. Doch in diesem Moment kam unerwartet brüderliche Hilfe aus dem Westen: Das Nachbarland Österreich erklärte sich bereit einzuspringen. Österreichs staatliche Großbanken liehen Ungarn, das zu den am höchsten verschuldeten Ländern der Welt gehört, umgerechnet eine Milliarde Mark. 70 Prozent der Bauarbeiten von Nagymaros werden im Gegenzug von österreichischen Firmen ausgeführt. Bauen wird die UniversaleBauAG, die wiederum der größten Staatsbank der Alpenrepublik, der Credit-Anstalt, gehört. Auf diese Weise verdient Österreich gleich doppelt: als Kreditgeber und als Bauherr. Ungarn muß dann den Kredit in Form von Strom zurückzahlen. Dadurch wird es im Winter bis ins Jahr 2015 hinein weniger Strom haben als ohne das neue Wasserkraftwerk. Der Bau eines zusätzlichen AKWs ist deshalb schon in Planung.

„Blanken Energiekolonialismus“ nennt das Franz Meister vom Wiener Ökologieinstitut. Zusammen mit einer Gruppe von Wissenschaftlern und Aktivisten hält er seit 1985/86 den Kontakt zu den ungarischen Initiativen. So entstand die erste blockübergreifende Allianz von Ökologiebewegungen. „Nachdem das österreichische Stauprojekt Hainburg verhindert worden war, mußte sich die DonaukraftwerkeAG nach einem neuen Projekt umschauen“, weiß Franz Meister zu berichten. In Ungarn habe sie zunächst leichtes Spiel gehabt, obwohl dort auch unter schwierigsten politischen Bedingungen der Protest nie abgerissen war. Immer wieder reisten österreichische Aktivisten hinüber nach Budapest zu Demonstrationen und Protesten, an denen manchmal nur eine Handvoll Menschen teilnahm. Im Juni 87 besetzte die Wiener Gruppe „Global 2000“ zwei Tage lang die österreichische Botschaft in Budapest. Mittlerweile geben sich österreichische Grüne, Umwelt-Aktivisten und Experten des Ökologieinstituts Wien in Budapest die Klinke in die Hand. Sie treffen sich zu öffentlichen Pressekonferenzen mit ihren Kollegen aus dem Osten und werden auch an der für Anfang September geplanten internationalen Konferenz teilnehmen. Dazu Franz Meister: „Was immer in Ungarn neu überdacht wird

-die Entscheidung wird auch in Wien gefällt. Wir bemühen uns zu verhindern, daß Österreich für dieses ökologische Verbrechen verantwortlich sein wird.“

Vorläufiger Höhepunkt der neuen Protestwelle wird eine für den 12.September angesetzte Großdemonstration sein. Eine für den gleichen Tag angesagte Parlamentsdebatte über Nagymaros ist dagegen auf Oktober verlegt worden.