: Mauer-Märchen: Blicke von außen:"Die Türhüter" und "Cycling the frame"
(Blicke von außen: „Die Türhüter“ und „Cycling the frame“, Di., 30.8., Nordkette, 22.25 Uhr) Witzig, daß man als blöder Deutscher gar nicht merkt, wie blöd Türken sein können, die natürlich genauso wie ihre amerikanischen oder japanischen Kollegen als Touristen in diese Stadt kommen und nichts Besseres zu tun haben, als kurz über die Mauer zu gucken und sich an ihren „schlauen“ Gedanken über den ach-so -schrecklichen Betonwall zu ergötzen.
In „Die Türhüter“ der türkischen Filmemacherin Sema Poyraz geriet Franz Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“ zum augenöffnenden Vergleich zwischen der Berliner Sehenswürdigkeit und den unzähligen inneren Mauern, die die Erdenbewohner voreinander aufgerichtet haben: die Vorurteile dem Fremden gegenüber oder die kleinen Schikanen, die es etwa verhindern, daß ein türkisches Mädchen mit ihren deutschen Freundinnen mal über's Wochenende nach Paris fahren kann (weil sie so schnell natürlich kein Visum bekommt). Nicht nur die Mauer, sondern auch all die anderen Steinwände in dieser Großstadt sind Gefängnis -tauglich: Meldeämter, Ausländerbehörden und natürlich Häuserfassaden. Sema Poyraz beendete ihren ganz unaufdringlichen „Blick von außen“ mit einer vielsagenden Kamerafahrt, die sich von dunklen Häuserfassaden spiralenförmig erhob, um im viereckig-begrenzten Hinterhofausblick auf den blauen Himmel als Bastion der Hoffnung zu verharren.
Auch Cynthia Beatt hielt in ihrem Beitrag „Cycling the frame“ die Zuschauer nicht für so dumm, wie sie von lebenslänglich auf gutbezahlten Fernseh-Sesseln hockenden TV -AbteilungsleiterInnen gehalten werden: Filme, die ihre Bilder nicht mit doppelt und dreifach erklärendem Kommentar zukleistern, sind FersehchefInnen suspekt.
„Cycling the frame“ widerlegte das ganze Schwachsinns -Mauer-Vokabular, das sich Graffiti-artig in so vielen Hohlköpfen festgesetzt hat. Die Mauer ist eben auch ein Schutzwall für eine ganz eigene Art von Zivilisation, die sich am Rande Berlins breitgemacht hat. Die über 160 Kilometer lange und oft nur wenige Meter breite Mauer-Zone ist Terrain für fast märchenhafte Erlebnisse. Drei Tage lang durchradelte die englische Schauspielerin Tilda Swinton (bekannt aus Derek Jarmans Filmen) dieses fremdländische Gebiet und entdeckte „sehr seltsame Dinge“: silberne Fische, tote Grenzflüsse, einen Natur-Lehrpfad oder „traurige, amputierte“ Eisenbahngleise. Überall enden irgendwelche Sektoren, und Tilda fragte sich, ob die Grenzposten auf den Wachtürmen dieselben Augenleiden haben wie Datenverarbeiter oder ob Wachmänner auch ihre Familien dauernd durch Ferngläser anschauen. Die Aufmerksamkeit, die die Männer in den Türmen auf die Mauer richten, widerspricht geradezu dem Desinteresse, das West-Bewohner und -Touristen diesem Mauerparadies entgegenbringen. Die verunsichernd -überraschende Toncollage und Tildas eigenwillige Gedanken machten diesen Berlin-Film zu einer poetischen Reise durch ein traumhaftes Mauer-Märchenland. „Cycling the frame„: ein Mauer-Rahmen, an dem sich noch manch Abenteuer inmitten der Großstadtzivilisation erleben läßt. Schade, daß verkalkte FernsehchefInnen ihrem Publikum nicht des öfteren solche Augenweiden zumuten!
Torsten Alisch
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