piwik no script img

Pinochet will sein eigener Nachfolger werden

Chiles Militärchefs haben Pinochet zum Präsidentschaftskandidaten gekürt / Der Ausgang des Plebiszits vom 5.Oktober ist noch völlig ungewiß / Nach einer Niederlage der Diktatur eröffnen sich verschiedene Perspektiven - auch ein Putsch scheint möglich  ■  Von Thomas Schmidt

Berlin (taz) - Nun ist es also amtlich: Pinochet will sein eigener Nachfolger werden. Die Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte und der Polizei - unter ihnen als Heereschef auch Pinochet - haben sich am Dienstag geeinigt, den Chilenen den amtierenden Staatspräsidenten für eine weitere achtjährige Amtszeit vorzuschlagen. Das Volk wird am 5. Oktober zu den Urnen gerufen, um Ja oder Nein zum konkurrenzlosen Kandidaten der Militärs zu sagen.

Der Fahrplan der Diktatur

Jahrelang hat die chilenische Opposition versucht, über Massenproteste und Streiks die Diktatur zum Rücktritt zu zwingen. Vergeblich. Seit 1986 versucht sie, den Militärs zumindest die Durchführung freier Wahlen abzutrotzen. Vergeblich. Chiles Machthaber halten unbeirrt am Fahrplan fest für den Übergang von der direkten Militärdiktatur zur militärisch überwachten, eingeschränkten Demokratie, den sie in ihrer Verfassung von 1980 festgeschrieben haben. Und dieser sieht vor, daß zunächst allein die Militärs bestimmen, wer Präsident werden darf. Nur wenn ihr Kandidat, Pinochet, beim Plebiszit durchfällt, sollen im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen durchgeführt werden. Bis dann bliebe der amtierende Präsident, Pinochet, im Amt. So will es jedenfalls die Verfassung, die im übrigen Parteien, die sich auf den „Klassenkampf“ berufen, explizit für illegal erklärt und den Oberbefehlshabern - bis 1997 gehört Heereschef Pinochet zu ihnen - ein Veto- und Mitspracherecht in der Gesetzgebung einräumt.

Eine nach der anderen haben die Parteien - zunächst die rechten, dann die christdemokratische, schließlich die linken, zuletzt im November '87 auch die KP - ihre Anhänger dazu aufgerufen, sich in die Wahlregister einzutragen. Die Christdemokraten begründeten dies noch im vergangenen November damit, man wolle freie Wahlen durchsetzen und dafür auch gerüstet sein. Ein Plebiszit im Rahmen der Verfassung der Diktatur lehnten sie ab. Inzwischen haben - wiederum von rechts nach links - nach und nach alle Parteien (mit Ausnahme der linkskommunistischen MIR und der FPMR-Guerilla) zum Nein aufgerufen und damit das Plebiszit akzeptiert. Als letzte entschied sich im Juni auch die Kommunistische Partei fürs Nein - offenbar aus Angst, sich zu isolieren und bei einem Sieg des Ja als Schwarzer Peter dazustehen.

Computer sollen

Betrug verhindern

So hat sich also die Opposition Pinochets Kurs gebeugt. Das Plebiszit ist längst zum Kulminationspunkt der politischen Auseinandersetzung geworden. Noch ist ungewiß, ob das Ja oder Nein den Sieg davonträgt. Jüngste Meinungsumfragen ergeben einen leichten Vorsprung für Pinochets Gegner. Doch fast ein Drittel der Chilenen ist noch unentschieden. Einen Stimmenbetrug in großem Ausmaß schließt die Opposition aus. Sie hat Zugang zu den Wahlurnen und addiert parallel zum Innenministerium über zwei voneinander unabhängige Computernetze die abgegebenen Stimmen. Und selbst Pinochet bürgte - auf seine Art - für einen sauberen Urnengang. „Wenn ich einen Betrug veranstalten wollte“, tönte der Diktator jüngst, „würde ich zu den Streitkräften sagen: Meine Herren, machen wir uns an die Arbeit - und die Sache wäre erledigt.“

16 Parteien, von der zivilen Rechten, die einst Pinochet offen zum Putsch aufgefordert hatte, über die Christdemokratie, die diesen begrüßt hatte - bis zur sozialistischen Linken, die ihm zum Opfer fiel, haben sich inzwischen zum „Kommando für das Nein“ zusammengeschlossen. Die Kommunistische Partei wurde in das Bündnis, dem der christdemokratische Sozialwissenschaftler Genaro Arriagada vorsteht, nicht aufgenommen. Die seit einem Jahr vom rechten Flügel unter Patricio Aylwin angeführten Christdemokraten lehnen jede Zusammenarbeit mit den Kommunisten ab, solange sich diese nicht in aller Deutlichkeit von der Gewalt distanzieren - von der Gewalt, die von der ihr nahestehenden FPMR-Guerilla ausgeht, selbstredend. Eine solche Distanzierung kann sich die KP wiederum nur auf Kosten des Verlusts ihrer militanten Basis vor allem in den Armenvierteln leisten, die sie ohnehin nur schwerlich für die Teilnahme am Plebiszit gewinnen konnte.

Die „Ja„-Sager

Dem breiten Bündnis der Neinsager steht ein schmales, aber gut betuchtes und gut bewaffnetes Bündnis von Militärs, Unternehmern und rechtsextremen Parteien gegenüber. 2.000 Vertreter von Industrie- und Handelskammern und Unternehmerverbänden bekundeten im Juni indirekt ihre Unterstützung für das Militärregime und unterzeichneten öffentlich die „Übereinkunft für die Freiheit“. Anläßlich dieses Aktes wandte sich Manuel Feliu, Präsident des Dachverbandes aller Unternehmervereinigungen, gegen die Kritiker der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Militärs: „Wir Unternehmer haben nicht vergessen, daß die Freiheit unteilbar ist und es ohne wirtschaftliche Freiheit keine politische geben kann.“ Getragen wird die Ja-Kampagne von den „Zivilkomitees für einen Sieg des Ja“, von einer „Großen Bürgerfront“ regierungsnaher Vereine, worunter einer als „Bewegung für Pinochet“ firmiert, und von zwei rechtsextremen Parteien, dem „Nationalen Fortschritt“ (AN) und der „Nationalen Erneuerung“ (RN). Präsident der AN ist Sergio Miranda Carrington, Anwalt des ehemaligen Geheimdienstchefs Manuel Contreras, dessen Auslieferung die USA - wegen Beteiligung an der Ermordung von Allendes Außenminister Orlando Letelier in Washington 1976 verlangen. Die RN wird von Sergio Onofre Jarpa angeführt, der Pinochet zeitweilig als Innenminister gedient hat.

Pinochet zieht seit Wochen alle Register, um eine drohende Niederlage abzuwenden. Seine Generalsuniform hat er mit dem blauen Anzug des Landesvaters vertauscht, der Ausnahmezustand wurde aufgehoben, landauf, landab weiht er Straßen, Brücken und Schulhäuser ein, streichelt Kindern über die Haare und schüttelt Hände. In zynischen Zeitungsannoncen der Regierungspresse kann man die Frage lesen: „Was hat man Ihnen heute wieder alles verboten?“ Gezeichnet: „Ihre Regierung, die Diktatur.“

Um des männlichen Volkes Ohr und Auge zu erreichen, ist den Managern der Ja-Kampagne nichts zu schade. So verkündete etwa Magaly Acevedo, „Miss Busen“ 1986, in TV-Spots Cumbia -tanzend: „Pinochet ist ein liebenswürdiger Opa.“ Umgerechnet anderthalb Millionen Mark hat das Regime einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge in Spots und Annoncen investiert.

Auch wenn die Regierung einen besseren Zugriff auf die Massenmedien und einen dickeren Geldbeutel als die Opposition hat, wäre es fatal, damit den respektablen Stimmenanteil, den das Ja auf jeden Fall erzielen wird, zu erklären. Aller Repression und aller wirtschaftlichen Misere zum Trotz hat Pinochet eben doch einen beträchtlichen Rückhalt in der Bevölkerung: in der Oberschicht aus durchsichtigen Gründen, aber auch in den Armenvierteln, wo manch einer sich angesichts der wachsenden Kriminalität eine harte Hand wünscht, vor allem aber wohl in den Mittelschichten, die schon immer mehr Angst vor sozialen Unruhen als vor dem eigenen Ruin hatten.

Der Wink mit dem Putsch

So kann denn auch nicht überraschen, daß Pinochet immer wieder das Chaos heraufbeschwört, falls ihm das Volk eine Stimmenmehrheit versagt. „Von Tag zu Tag wird deutlicher, daß die ewigen Feinde der westlichen Menschheit in den Grenzen unseres eigenen Landes tätig sind“, stellte er vor kurzem fest. Aber die Zeiten von vor dem Putsch 1973, als Zivilregierungen die Armee politisch an den Rand gedrängt hätten, seien glücklicherweise vorbei. Etwas enigmatischer hatte sich Heereskommandant Hernan Nunez im Juli ausgedrückt: „Den Marxisten Lagos (sozialdemokratischer Oppositionsführer, d. Red.) warnen wir: diese Regierung wird das Plebiszit so oder so gewinnen.“

So oder so. Eine versteckte Putschdrohung? Optimisten gehen davon aus, daß sich bei einem Sieg des Nein relevante Teile der Militärs vom Verlierer Pinochet absetzen und zu Verhandlungen mit der Opposition über eine Verfassungsänderung bereit sind, um wirklich freie Wahlen zu ermöglichen. Pessimisten hingegen befürchten, daß sich Pinochet mit einer Niederlage nicht abfinden würde, sondern die dann erwartete Massenmobilisierung für die Abdankung der Militärs gezielt zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen schüren könnte. Wenn je wieder Zustände wie 1973 herrschen sollten, hatte der General schon oft gedroht, würden auch die Lösungen wie 1973 aussehen. Auch Jaime Guzman, Chefideologe der Diktatur, meinte jüngst, daß ein Sieg des Nein „eine Entwicklung einleiten könnte, die unvermeidbar zu einer neuen Intervention der Streitkräfte führen könnte“. Eine solche, so Gustavo Cuevas Farren, von der politologischen Fakultät der Universität von Chile, „wäre ganz klar durch den Buchstaben der Verfassung abgedeckt“.

Mag sein, daß dies mehr Säbelrasseln und Spiel mit der Angst ist als die prioritäre Option für den Fall einer Niederlage. Doch bestätigt es, daß mit der Verfassung, die die Diktatur 1980 dem Land verpaßt hat, keine Demokratie zu machen ist - ganz unabhängig vom Ausgang des Plebiszits.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen