SPD quotiert - Lafontaine regiert

Auf dem SPD-Parteitag brachte Lafontaines Rede zum Wirtschaftskurs Leben in die Bude / Überraschend große Mehrheit für Frauen-Quotierung / Wirtschaftspolitischer Leitantrag angenommen / Steinkühler sauer / Steuerparteitag bleibt umstritten  ■  Von W.Jacobs & C.Wiedemann

Münster (taz) - Zu einer heftigen Debatte über den zukünftigen wirtschaftspolitischen Kurs der Partei kam es auf dem SPD-Parteitag in Münster am Mittwoch. Es war wieder einmal Oskar Lafontaine, der mit einem scharf formulierten Beitrag Leben in die Bude brachte. Vor allem seine Aussagen zur Arbeitszeitverkürzung einschließlich des Lohnverzichtes, zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und zur Steuerpolitik riefen die „Traditionalisten“ in der SPD auf den Plan. Die Umverteilung der Arbeit „in einer Klasse“ , so der langjährige Sozialexperte Herbert Ehrenberg, sei der „falsche Ansatz“. Auch der Vorschlag von Lafontaine, den Unternehmen bei Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen unter gewissen Bedingungen „Lohnkostenzuschüsse“ zu gewähren, stieß bei Ehrenberg und anderen auf scharfe Ablehnung.

Mit großer Mehrheit stimmte der Parteitag am späten Nachmittag dem Leitantrag des Vorstandes zur Wirtschaftspolitik zu. Lediglich in einem Punkt unterlag der Lafontaine-Flügel. Lohnkostenzuschüsse für Unternehmer, die Arbeitsplätze über den Produktivitätszuwachs hinaus zur Verfügung stellen, will die SPD-Mehrheit nicht zahlen. Die von dem Kreis um Peter von Oertzen geforderte „Solidarsteuer für nicht investierte Gewinne“ findet sich in dem verabschiedeten Antrag ebensowenig wie die Forderung nach einer „Ergänzungsabgabe für Besserverdienende“, die bisher von der Partei favorisiert worden war. Mit einer unerwartet großen Mehrheit von 87 Prozent der Delegiertenstimmen hatte der Parteitag am Vorabend die Frauen-Quote bei der Besetzung von Ämtern und Mandaten beschlossen. Nach den Grünen hat die SPD damit als zweite Partei anerkannt, daß die Männerdominanz nicht ohne satzungsmäßige Zwänge gebrochen werden kann.

Der in Münster als „historisch“ gefeierte Beschluß sieht allerdings den Vormarsch der Frauen nur im Schneckentempo vor: Erst in zehn Jahren, 1998, müssen 40 Prozent der heiß begehrten Listenplätze für Wahlmandate mit Frauen besetzt werden; für die schnöderen Parteiämtern ist diese Quote bereits ab 1994 verbindlich. Fortsetzung auf Seite 2

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Interview mit Peter von Oertzen

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Gegen den Willen der Mehrheit im Parteivorstand beschlossen die Delegierten, die Parteispitze für eine Genossin aufzustocken: Herta Däubler-Gmelin wird als dritte stellvertretende Parteivorsitzende (neben Rau und Lafontaine) heute auf diesen Posten gewählt werden. Erst nach dieser Delegierten-Entscheidung raffte sich der Parteivorstand am Dienstag abend zu der Höflichkeitsgeste auf, Herta Däubler-Gmelin nun auch einstimmig zu nominieren. Der gesamte Quotenbeschluß ist auf 25 Jahre befristet: Anno 2003 sollen die SPD-Männer gelernt haben, Gleichberechtigung freiwillig zu praktizieren. Obwohl für Verstöße gegen das Quotierungsgebot keine Sanktionen vorgesehen sind'malten die Quoten-Gegner in der dreistündigen Debatte die Gefahr „erheblicher Querelen“ in den Parteigliederungen an die Wand.In einer geheimen Abstimmung hätte die Männer-Mehrheit des Parteitags wohl weniger eindeutig votiert.

Die wirtschaftspolitische Grundstzrede Lafontaines bildete den Höhepunkt des gestrigen tags in Münster. Der stellvertretende Vorsitzende, der in seinem Referat bei dem Punkt Flexibilisierung deutlich schärfer wurde alsim Leitantrag mußte sich vom IGM-Vorsitzenden Franz Steinkühler vorhalten lassen, sein Vorschläge zur Teilzeitarbeit seien „zynisch“. Zwar sei er mit den großen Zielen von Lafontaine einig, so Steinkühler. Aber bei den konkreten Vorschlägen liegen die beiden doch relativ weit auseinander. Das gilt auch für die Steuerpolitik: Lafontaine forderte, ganz im Sinne der Hauff-Kommission, eine maßgebliche Energiesteuer.

Zukünftig will die SPD die Gewinne, die in den Unternehmen reinvestiert werden geringer besteuern als die entnommen Profite. Nicht entschieden war am Mittwoch, ob die SPD einen eigenen Steuerparteitag durchführen wird. Gegen einen Sonderpartag sprach sich am Schluß der Debatte Jochen Vogel aus. Vogel bezweifelte zudem ob die tatsächlichen Meinungsunterschiede die „neue Heftigkeit“ rechtfertigen. Offensichtlich mit Blick auf Steinkühler zeigte sich Vogel „nicht sicher“, ob „diese Stimmen“ anderswo in der Gesellschaft „das Gewicht“ hätten, „mit dem sie sich hier artikuliert haben“.

Als „politische Fehlzündungen“ hat der stellvertretende CDU -Vorsitzende, Arbeitsminister Blüüm, die wirtschaftspolitischen Ausführungen Lafontaines bezeichnet. Er hielt ihm vor, „teils Falsches, teils Richtiges“ vorgetragen zu haben: „Das, was falsch war, war nicht neu was richtig war, war neu, jedenfalls für die SPD“. Er habe die SPD nicht bewegen können.