: Pohrt-betr.: "Pohrt, der Polemiker", taz vom 23.8.88
Betr.: „Pohrt, der Polemiker“, taz vom 23.8.88
(...) Die geschickt eingefädelte Polemik gegen den Pamphlet und Essay-Schreiber Pohrt liest sich streckenweise wie eine Projektion der Behauptung Kraushaars, „Der Angreifer (Pohrt) ist zugleich auch Objekt seines Angriffs“. Geißelt Kraushaar noch am Anfang das gegenseitige Verreißen von Texten in der linksliberalen Szene, so äußert er am Ende seines Textes den Verdacht, daß „das Wahrnehmungs- und Denkvermögen (Pohrts) wie das eines Zwangscharakters strukturiert“ sein muß.
Auch scheint sich der Verfasser selbst herausstellen zu müssen, indem er Pohrt bezichtigt, sich von einem Aktivisten der 68er-Revolte über einen Soziologen zu einem Polemiker zurückentwickelt zu haben. Bei allem offensichtlichen Neid muß man Kraushaar zugute halten, daß er Pohrt vereinzelt, wenn auch sehr schräg, würdigt: “..., dessen Talent, sich ungeliebt zu machen, alle anderen unverkennbaren schriftstellerischen Vorzüge in den Schatten stellte.“
In dem zentralen Kritikpunkt, Pohrt „formuliert keine eingreifende Kritik mehr, sondern nur noch mehr oder weniger zynische Kommentare“, muß ich Kraushaar widersprechen. Lange vor wichtigen, auflagenstarken Veröffentlichungen, wie aktuell der von R. Giordano (Die zweite Schuld), hat Pohrt nüchtern, ernst und karg in erschütternder Weise, wie sonst nur im Film von C. Lanzmann Shoah verwirklicht, über Auschwitz und die Aktualität des deutschen Faschismus geschrieben (Rotbuch 224, 1976). Genauso wie das von ihm besprochene Tagebuch aus dem KZ Bergen Belsen Vielleicht war das alles erst der Anfang (Rotbuch 191) und andere „Betroffenen-Berichte“ ist seine grundlegende Analyse aber niemals über eine winzige Auflage hinausgekommen. Und soweit ich die (meisten) Publikationen von Pohrt bis in das Jahr 1988 kenne, setzt er sich in fast allen facettenreich, radikal und moralisch integer mit dem deutschen Faschismus und seinem Fortwirken in der heutigen Zeit auseinander. (...)
Was die menschlichen Animositäten betrifft, die Kraushaar zum Teil zu Recht kritisiert, sei auf Pohrt selbst verwiesen: „Die Vernunft als einziger gegen den Rest der Welt zu verteidigen, ...“, in Feindschaft durch Ähnlichkeit: RAF-Ideologie und öffentliches Bewußtsein heute (taz vom 8.1.85), wo diese eine sympathische Seite bekommen.
Hubertus Illner, Soest
Laut Kraushaar deponiert Pohrt Tretminen, er bringt Sprengsätze an, er schleudert Molotow-Cocktails, er ist ein Kettenhund mit Killerinstinkt, er zerreißt Autoren, er läßt kein Kaliber aus ... Und wer sind die Opfer, die vor einem geifernden Publikum zur Strecke gebracht werden sollen? Offenbar alles, was in Westberlin als links, aufrichtig und engagiert bekannt war, die Altlinken, die zornigen alten Männer, linke Oppositionelle, anerkannte Koryphäen des Kulturbetriebs, die organisierten Altlinken in SPD und Gewerkschaften, Prominente des linken Unterschriftenkartells, der renommierteste Sozialphilosoph, der Begründer des Autorenfilms ...
Schon ein merkwürdiges Kollektiv, was Kraushaar hier herausdestilliert. Es zeichnet sich unter anderem dadurch aus, daß man sich rein gar nichts darunter vorstellen kann. Dieses mystische Konstrukt wird von Pohrt offenbar unter Einsatz militärischer Mittel angegriffen, aber eben nicht in offener Feldschlacht, sondern hinterrücks, mit den Mitteln einer Guerilla. Wie gemein!
Fatalerweise ist laut Kraushaar die Treffsicherheit von Pohrts Attacken enorm, in gewisser Hinsicht (?) erschreckend hoch.
Kraushaars Metaphorik evoziert beim Leser das Bild eines Gemetzels. Die wackeren bundesdeutschen Bewegungen laufen auf Tretminen, Sprengsätze explodieren, Kettenhunde mit Killerinstinkt wüten unter ihnen, Benzinbomben gehen hoch, offenbar ist auch Artilleriebeschuß angesagt (obwohl für eine Guerrilla unüblich) und das Ganze bei hoher Treffsicherheit. Wir befinden uns aber nicht in Vietnam oder Mittelamerika, sondern im Gelände grüner Gewißheiten.
Es kann nun wirklich nicht erwartet werden, daß das hingemeuchelte Kollektiv der Schlächterei noch länger zusieht. Die Notwendigkeit der Verteidigung liegt auf der Hand, da offensichtlich Kriegszustand besteht. Kraushaars Artikel kann daher nur als Aufforderung an die Gemeinde der Aufrichtigen, Engagierten, Zornigen, Koryphäen, Prominenten usw. gewertet werden, sich mit den Mitteln des Krieges gegen Pohrt zur Wehr zu setzen.
Was kann man aus alldem schließen? Wenn ich Kraushaars schlechtem Beispiel einmal folge und mich auf das Gebiet der Amateurpsychologie begebe, dann mag man nur noch vermuten, daß Kraushaar an Verfolgungswahn leidet.
Reinhold Bachmann, Berlin 61
Zweimal muß man Kraushaars Artikel lesen, bevor man sich entscheiden kann, ob er es mit seiner Schelte wirklich ernst meint oder ob er - vielleicht alter Kumpel von Pohrt - den unbedarften Kritiker spielt, damit Pohrt wieder die von Kraushaar gerühmte „enorme Treffsicherheit seiner Attacken“ an einem nicht zu verfehlenden Pappkameraden beweisen kann. Da einem dieser Gedanke doch zu blöd vorkommt, zumal ein Mangel an authentischen Zielen vorläufig leider nicht absehbar ist, muß Kraushaar seine Kritik wohl ernst nehmen. Das aber ist ein Kunststück.
Kraushaar glaubt, daß Pohrt seine Aufgabe darin sieht, „in einem nicht-personalisierten Sinn zu entlarven“, wobei er jedoch immer wieder nur „sein bereits vorhandenes Weltbild“ bestätige. Das sei allerdings nicht nur „bereits vorhanden“, sondern auch „statisch“. Bis hierhin läßt sich das Klischee vom dogmatischen Holzkopf noch nachvollziehen. Wie aber verträgt sich das Klischee mit Kraushaars Urteil, Pohrt zeige bei der Bestätigung seines völlig statischen Weltbilds eine „enorme“ Treffsicherheit“, die sogar „in gewisser Hinsicht erschreckend hoch sei“. Das heißt nun doch nichts anderes, als daß Pohrts Weltbild sich in der Realität bewährt. Genau das unterstreicht Kraushaar wenige Zeilen weiter noch einmal, wo er - wenn auch sehr uncharmant formuliert - feststellt, Pohrts „zwangshafte Züge ... dem keine These steil genug sein kann, konzidieren mit denen eines bestimmten Sozialzusammenhangs“. Da dieser Satz ja Pohrts Treffsicherheit erklären soll, kann man ihn wiederum nur so verstehen, daß Pohrts „steile Thesen“ mit dem „bestimmten Sozialzusammenhang“, den sie attackieren, zusammenfallen („konzidieren“), deckungsgleich sind, auf deutsch: ihn richtig wiedergeben. Was aber mag daran „in gewisser Hinsicht erschreckend“ sein?
Kraushaar kann den Inhalt der Mitteilung erschreckend finden, wieso beschimpft er aber den offensichtlich tüchtigen Überbringer? Vermutlich sind ihm die weniger steilen Thesen der Jungs mit dem nicht „bereits vorhandenen“ und dynamischen „Weltbild“ angenehmer, auch wenn sie mit der Realität nicht sonderlich „konzidieren“.
Wenn Kraushaar zum Ende hin dann immerhin ehrlich zugibt, was ihn wirklich an Pohrt stört, nämlich dessen „vehemente Anti-Haltung“, so erinnert er an den Pädagogen, der Ende der sechziger Jahre die „aufmüpfigen Schüler“ zurechtwies: Sie hätten ja in vielem recht, aber man dürfe doch nicht gegen alles sein.
Gerhard Kuhnen, Hamburg 50
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