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Singapurs Premier schielt aufs Altenteil

Am 3.September finden in Singapur vorgezogene Parlamentswahlen statt / Seit Wochen werden Singapurs Bürger mit einer perfekt inszenierten Politshow auf die rechte Gesinnung eingestimmt / Der autokratische Premierminister des Stadtstaates Lee Kuan Yew spekuliert jetzt auf das Amt des Staatspräsidenten  ■  Aus Singapur Jürgen Kremp

Drei Stunden hatte Singapurs Premier Lee Kuan Yew am vergangenen Sonntag auf allen fünf Fernsehkanälen des Stadtstaates gut gelaunt und spritzig über Vergangenheit und Zukunft des Schwellenlandes referiert. Dann holte er zum Rundumschlag aus:. „Merkt euch: Minister sind nicht nur zum Kinder küssen da“, sagte er vor 1.800 geladenen Gästen und Mitgliedern der Regierungspartei „People's Action Party“ (PAP). „Sie müssen auch zuschlagen können.“ „Karateschläge“, so Lee, sollten die Nachwuchspoltiiker der PAP vor allem an all jene austeilen, die der Partei die seit nunmehr 23 Jahren währende Vorherrschaft im Schwellenland oder ihren Erfolg streitig machen wollten. Marxisten seien es, die sich in Institutionen der 2,6 Millionen Einwohner zählenden Stadt eingeschlichen hätten und ausländische Journalisten, die „über uns in einer westlichen sensationsorientierten Art und Weise berichten“.

Der Redemarathon des starken Mannes von Singapur, Tage im voraus durch Werbespots in Hörfunk und TV angekündigt, war der vorläufige Höhepunkt einer perfekt inszenierten Medien und Politikshow zum Unabhängigkeitstag der kleinen Insel zwischen Malaysia und Indonesien im Südchinesischen Meer. Alle 20 Minuten wird dafür das Fernsehprogramm unterbrochen. Ein Kinderchor erscheint auf dem Bildschirm und schmettert lächelnd die heimliche Nationalhymne des High-Tech-Staates: „Wir sind Singapur, eine junge Nation, auf die man stolz sein kann“, heißt es in dem Lied, das gleichzeitig aus Lautsprechern in Hotellobbies, Fast-Food-Restaurants und bei Volksfesten ertönt. Doch damit nicht genug. Fernsehreporter und Zeitungsleute werden durch die Stadt geschickt und fragen: „Warum sind Sie stolz auf Singapur?“ oder „Wie möchten Sie unserem Vaterland dienen?“ Auf dem Bildschirm sind dann alsbald junge Leute zu sehen, die artig antworten: „Ich möchte in der Armee für Singapur dienen.“

Doch was dem durchschnittlichen Europäer ein Schaudern über den Rücken jagt, erzeugt bei den konfuzianisch erzogenen Singapori lediglich „ein angenehmes Prickeln auf der Haut“. So jedenfalls die staatlich gelenkte Lokalzeitung 'The Strait Times‘.

Kein Wunder. Schon am Vorabend des Geburtstags der einstigen britischen Kronkolonie ließ Vizepremier Goh Chok Tong über die Medien verlauten, daß die Arbeiter und Angestellten des Schwellenlandes nach zwei Jahren wirtschaftlicher Flaute dieses Jahr wieder eine Lohnerhöhung von acht bis zehn Prozent zu erwarten hätten. Ein Aufruf, dem sich auch private Arbeitgeber nicht entziehen können.

23 Jahre ist es her, daß die zu 75 Prozent chinesische Stadt am 9.August 1965 den malayischen Staatenverband verließ. Seitdem wuchs das kleine Singapur zur erfolgreichsten Wirtschaftsnation unter den vier ostasiatischen Schwellenländern, vor Hongkong, Taiwan und Südkorea heran. Der Lebensstandard des „Kleinen Drachen“ steht dem Italiens oder Neuseelands um nichts nach. 80 Prozent der Bevölkerung leben in Eigentumswohnungen.

Am 16.September wird Lee Kuan Yew 65 Jahre alt. Der Premier, der den Stadtstaat seit seiner Gründung mit eiserner Faust regiert, ist damit zehn Jahre über dem üblichen Pensionsalter in Singapur. Nachdem er vor kurzem seinen langsamen Ausstieg aus den Regierungsgeschäften angekündigt hat, wurden für den 3.September vorgezogene Wahlen ausgerufen. Dabei wäre die Legislaturperiode des jetzigen Parlaments regulär erst in 16 Monaten ausgelaufen. Beim letzten Wahlgang 1984 hielten dort neben den 77 Abgeordneten von Lees PAP nur zwei Oppositionelle Einzug. Einem der beiden wurde bald danach das Mandat wieder entzogen.

Doch nur das Mehrheitswahlsystem nach britischem Vorbild sicherte der Regierungspartei ihren klaren Vorsprung. Die Parteien der PAP-Gegener hatten 38 Prozent aller Stimmen auf sich vereinen können, woraufhin die Regierung die Grenzen der Wahlkreise zu ihren Gunsten veränderte. Darauf allein scheint sich Lee Kuan Yew in Zukunft auch nicht mehr verlassen zu können. Denn die „zweite Generation der PAP -Führer“, wie es die staatlich gelenkten Medien formulieren, verfügen längst nicht mehr über das Charisma, das der Partei unter dem Autokraten Lee Macht, ja sogar internationales Ansehen sicherte.

Vizepremier Goh Chock Tong, der in die Fußstapfen des alten Mannes treten soll, erscheint farblos und ist ein schwacher Redner, wie Lee selbst zugesteht. Und Lees Sohn, Handels und Industrieminister Lee Hsien Loong, tat sich bisher in erster Linie durch seinen paranoiden Verfolgungswahn hervor. Im Mai und Juni vergangenen Jahres wurden in Singapur 22 junge Sozialarbeiter, Juristen und Kirchenmitarbeiter wegen angeblicher „marxistischer Umsturzversuche“ über Monate ins Gefängnis gesteckt. Als acht von ihnen nach der Haft öffentlich erklärten, sie seien unter Folter zu Falschaussagen gezwungen worden, sorgte der junge Lee dafür, daß sie erneut eingesperrt wurden. Auch ihr Rechtsanwalt Fracis Seow wurde wenige Tage später unter dem gleichen Verschwörungsverdacht bis Anfang August inhaftiert. Sieben Gewissenshäftlinge sitzen laut amnesty international heute noch hinter Gittern und werden gefoltert. Wie Seow in einem Interview gegenüber dem 'Far Eastern Economic Review‘ erklärte, war auch er tagelangen, ununterbrochenen Verhören ausgesetzt und mußte spärlich bekleidet in eiskalten Räumen ausharren. Trotzdem wird er sich um einen Sitz im Parlament bewerben und die „Internal Security Act“, unter der die willkürlichen Verhaftungen vorgenommen wurden, zu einem Wahlkampfthema machen.

Die Regierung Lee schreckte indessen nicht davor zurück, die Rückberufung des Ersten Sekretärs der amerikanischen Botschaft Hendrickson zu fordern, weil dieser wiederholt mit Seow zusammengetroffen sei. Man wolle sich von dem wichtigsten Handelspartner nicht auch noch sein Demokratieverständnis diktieren lassen, stimmten die Lees in den im Pazifik aufkommenden Antiamerikanismus. Aber nicht nur das Image der absteigenden Wirtschaftsmacht Amerika ist angekratzt, auch die Regierungspartei hat offenbar Grund, um ihre Macht zu fürchten. Vorsorglich warnte Lee Kuan Yew in seiner Rede all jene jungen Wähler, die das letztemal die Opposition gewählt hatten, daß es „kein Witz“ sei, wenn es diesmal an die Wahlurnen gingen. Vielmehr stehe der Wohlstand von Singapur auf dem Spiel. Auch Goh Chok Tong ermahnte die Singapories, „ordentlich zu wählen, wenn es weiterhin wirtschaftlich bergauf gehen solle“.

Gleichzeitig wird dieser Tage in dem Schwellenland eine Verfassungsänderung vorbereitet. In Zukunft soll der Staatspräsident, der bisher ausschließlich repräsentative Funktionen hatte, mit mehr Macht ausgestattet werden. In fast allen Bereichen der täglichen Politik soll er ein Mitspracherecht erhalten.

Ein Amt wie geschaffen für Lee Kuan Yew, den die Angst treibt, seine Nachfolger oder eine mögliche Oppositionsregierung könnten aus Popularitätsgründen die angesparten Devisenreserven in der Höhe von umgerechnet 30 Milliarden Mark in wenigen Jahren verprassen. „Unsere Devisen sind unser Rohstoff wie in andren Ländern die Wälder“, formulierte es dieser Tage Vizepremier Goh. „Wir brauchen einen mächtigen Präsidenten, denn käme eine unverantwortliche Oppositionspartei auch nur mit einer Stimme Mehrheit an die Macht, würde das genügen, um uns in kurzer Zeit zu ruinieren.“

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