„Wir sind jung, wir können uns anpassen“

■ Über zehntausend Aussiedler aus Rumänien werden in diesem Jahr in der Bundesrepublik erwartet / Zurückgelassen: ein Land ohne Perspektive und mit immer weniger Freunden

„Das wichtigste ist erst einmal, daß wir hier sind.“ Hier das ist ein kleines Zimmer in der Nürnberger Durchgangsstelle für Aussiedler, porentief gespickt mit dem Charme deutscher Amtsstuben. Aber für Rudolf Augustin steht dieser triste Ort für das Wort „Hoffnung“, denn er markiert die Endstation einer Reise, auf die er mehr als zehn Jahre gewartet hat. Ausgestattet mit einer Fahrkarte nach Nürnberg und einm Bündel Handgepäck ist der 29jährige Schlosser zusammen mit seiner Frau vor zwei Tagen im Lager angekommen. Fast 30 Stunden Bahnfahrt ostwärts liegt der Ort, von dem Herr Augustin nicht mehr richtig weiß, ob er ihn noch „Heimat“ nennen soll. Jimbolia heißt dieser Ort im Kreis Hermannstadt in der rumänischen Landessprache. Einst zählte er 1.400 Einwohner, zu fast hundert Prozent Siebenbürgener Sachsen. Heute leben gerade noch rund 130 „Deutsche“ in Jimbolia, und das ist der Hauptgrund, weshalb das Ehepaar Augustin das Haus, die kleine Landwirtschaft und den Beruf hinter sich gelassen hat. „Das schlimmste war der Zusammenbruch der deutschen Gemeinde. Einer nach dem anderen zog weg, die Häuser verfallen, und immer mehr Rumänen und Zigeuner ziehen ein. Irgendwann mochte ich gar nicht mehr ins Wirtshaus gehen. Ich habe mich fremd gefühlt, dabei war es doch unser Land. Wir wollen nicht Rumänen werden. Wir wollten uns als Sachsen behaupten“, beschreibt Rudolf Augustin die Gründe dafür, daß er schon 1977 einen Ausreiseantrag bei den rumänischen Behörden gestellt hat.Schon lange vor Ceaucescus Ankündigung, 7.000 Dörfer dem Erdboden gleichzumachen, hatten die meisten Bewohner Jimbolias die Koffer gepackt.

Allmählich gehen alle

Sich immer einsamer zu fühlen und „zuzuschauen, wie ein Freund nach dem anderen geht“, das war auch für den 20jährigen Josef der entscheidende Grund, weshalb er vor gut einem Monat seine Heimatstadt Hatzfeld im rumänischen Banat hinter sich gelassen hat. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Anton flüchtete er bei Nacht und Nebel ins benachbarte Jugoslawien. Nach einer fast einmonatigen Odyssee durch dortige Gefängnisse gelangten die Brüder mit Hilfe der deutschen Botschaft schließlich nach Nürnberg. Josef und Anton kennen Deutschland zwar nur vom Hörensagen und aus den Briefen der Tante. Dennoch empfinden auch sie sich als Deutsche, denn das, so glaubt Herr Augustin, „liegt uns im Blut“.

Sie sind deutschsprachig aufgewachsen, in einen deutschen Kindergarten und eine deutsche Schule gegangen, aber sie haben sich in dem Land, das für ihre Großeltern noch die Heimat war, schon längst nicht mehr wohlgefühlt. „Wir sind als minderwertig behandelt worden“, sagt Frau Augustin. Irgendwann sei ihnen alles Schöne, „die Kirchweih und die Feste“, verboten worden, fügen Josef und Anton hinzu.

Rein materiell, so räumen die Augustins ein, geht es den Deutschstämmigen auch heute noch besser als den Rumänen. „Wir hatten unsere eigenen Häuser, und fast alle betreiben nebenbei noch ein wenig Landwirtschaft.“ Auch wenn der Staat immer mehr Abgaben aus dem Selbsterwirtschafteten verlangt, könne man sich doch „irgendwie durchschlagen“. „Die Rumänen, die keinen Garten haben und in den Hochhäusern leben müssen, denen geht es wirklich schlecht, die hungern oftmals“, berichten auch Anton und Josef. „Wir hatten zum Glück unser eigenes Vieh und mußten nie vor einer Fleischerei schlangestehen, wo es am Ende dann doch nichts gab.“

Auch beruflich hätten sie kaum Nachteile gehabt. Nun ja, die höchsten Positionen als Betriebsleiter oder Werkstattdirektor seien Rumänen vorbehalten gewesen, aber sie hatten immerhin ihre feste Anstellung als Automechaniker oder Schlosser. Und „als es noch Benzin gab“, da hatte Herr Augustin sogar ein Auto. „Das Schlimme ist eher: Du hast keine Zukunft in dem Land. Jeder, egal ob er Rumäne oder Deutscher ist, scheitert. Nichts funktioniert, nichts verändert sich, und es wird immer schlimmer“, meint Josef. „Du mußt schon einen dicken Onkel mit viel Geld haben, um etwas zu erreichen.“

Chauvinismus

Diesen „dicken Onkel“, der in Form von Strumpfhosen, Kugelschreibern oder Seife die begehrtesten Zahlungsmittel für einen Arzt oder einige Liter Benzin schickt, haben inzwischen viele Rumänien-Deutsche. Doch dieser Onkel aus der Bundesrepublik sorgt nicht nur für die lebensnotwendigen Hilfen, er bringt auch Neid. „Dann sind wir für die Rumänen wieder die 'Hitleristen‘.“

Sicher, sie haben auch rumänische Freunde gehabt, die Augustins oder die Brüder Josef und Anton. „Aber beim Arbeitsdienst mußten wir dann die schweren Arbeiten machen und in der Disko waren wir dann 'die Deutschen‘, und das war klar abwertend gemeint.“ Umgekehrt sind auch die Aussiedler nicht gut auf ihre ehemaligen rumänischen Nachbarn zu sprechen. „Die Rumänen sind ein lasches Volk. Denen ist alles egal, die lassen alles so laufen, und deshalb gibt es auch keinen Widerstand gegen den Staat“, meint Anton. Rudolf Augustin möchte „auf keinen Fall mit denen auf eine Stufe gestellt werden.“ und wenn er die „Zigeuner“ sieht, „vergeht ihm alles“. Jetzt in der Bundesrepublik sei es „so angenehm, überall auf der Straße und im Radio deutsch zu hören.“ Nur was er neulich im Fernsehen gesehen hat, macht ihn nachdenklich. „Die haben berichtet, daß die Deutschen uns gar nicht haben wollen. Da habe ich mich gefühlt wie in Rumänien. Dort waren wir die Hitleristen, hier sind wir die Aussiedler.“ Daß ihre Beschwörung des Deutschtums eher schreckliche Assoziationen zum Nationalsozialismus weckt, können Josef und Anton nicht so richtig verstehen. „Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht gewesen, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“, meint Josef. Sicher sei er sich da nicht, räumt er immerhin ein, denn sie wüßten zu wenig über die Vergangenheit. „Geschichte in der Schule war immer nur rumänische Geschichte, und der haben wir nicht geglaubt.“

Was sie sich jetzt erwarten von dem neuen Leben in der Bundesrepublik? „Daß man hier wenigstens eine Zukunft bauen kann“, ist Josef das wichtigste. Er will arbeiten, „egal was“, und wer eine Arbeit suche, finde auch etwas. „Wir sind ja jung, wir können uns anpassen.“ Und danach kommt dann der große Traum, „endlich einmal die Welt kennenzulernen“. Einer Sache sind sie sich bislang sicher: Heimweh werden sie keines haben. „Berge, Felder und Wiesen“, meint Herr Augustin, „gibt es schließlich auch in Deutschland.“