: Ärzte, Politik und Verdrängung
■ Renate Jäckle zum „Historikerstreit“ in der Medizingeschichte / Ihre Schrift bietet einen guten Überblick über das politische Engagement der bundesdeutschen Ärzteschaft von 1930 bis heute
Als unpolitische HelferInnen und WohltäterInnen stellen besonders die Funktionäre der bundesdeutschen Ärzteschaft sich und ihre KollegInnen gerne dar. Die aktuellen Kontroversen um humangenetische Beratung, „Sterbehilfe“, die Verschärfung des §218 und das Gesundheitsreform-Gesetz strafen sie Lügen: Gerade die Bundesärztekammer und ihr Präsident Vilmar beziehen in jeder dieser Fragen Position und versuchen diese auch durchzusetzen. In den letzten Jahren wird das zunehmend schwieriger - vor allem, weil die konservativen FunktionärInnen zusehends harsche Kritik von BerufskollegInnen einstecken müssen: Die „Ärzte gegen Atomkrieg“, die Listen demokratischer ÄrztInnen und die Gesundheitsbewegung haben Bewegung in die gesundheits- und sozialpolitische Diskussion gebracht.
Renate Jäckle ist selbst Medizinerin und arbeitet in der Münchner Initiative „Mediziner gegen atomare Bedrohung“ mit
-ein Engagement aus dem heraus ihr Buch Die Ärzte und die Politik entstan den ist.
Der Schwerpunkt von Jäckles Studie beschäftigt sich mit Engagement und Lage der ÄrztInnen im Nationalsozialismus. Ausführlich schildert sie, wie vor allem jüdische, aber auch sozialdemokratische und kommunistische ÄrztInnen „ausgeschaltet“, also mit Berusfverbot belegt wurden - eine Säuberungsaktion, die auf keine nennenswerte Opposition in der Ärzteschaft insgesamt stieß. Im Gegenteil. Zudem wurden die Funktionäre der deutschen Ärzteschaft „belohnt“, indem endlich ihre alte Forderung, eine reichsweite Standesvertretung zu schaffen, mit der Einführung der Reichsärztekammer erfüllt wurde.
Die „Neue Deutsche Heilkunde“, das „Erbgesundheitsgesetz“, die Vernichtungsaktionen gegen Behinderte und die KZ-Medizin sind weitere Themen, die Jäckle darstellt: Sie kommt dabei nicht zu weitergehenden Schlüssen als Walter Wuttke -Groneberg, Götz Aly, Alexander Mitscherlich oder Ernst Klee, aber ihr gelingt ein knapper, prägnanter Abriß dieses zentralen Abschnitts deutscher Medizingeschichte. Ihre Darstellung der gesundheitspolitischen Diskussion in der Weimarer Republik, des „Fluchtversuchs der Verdrängung“ nach der Befreiung vom Faschismus, aber auch der aktuellen Diskussion um „Sterbehilfe“ zeigen die Kontinuitäten auf.
Diese Funktion hat auch eine in die drei Kapitel jeweils eingearbeitete Darstellung einer „deutschen Arzt-Karriere“: Der Gynäkologe Hans Christian Naujoks, der schon in den zwanziger Jahren an Methoden zur Sterilisation von Frauen arbeitet (und zwar gelegentlich auch ohne Einwilli- gung der Patientinnen), wird im Nationalsozialismus Direktor der Universitäts-Frauenklinik in Köln, führt Zwangssterilisationen durch Röntgenbestrahlungen durch, nach dem Krieg wird er Präsident der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und fordert, „bei der operativen Sterilisierung den Arzt von allen formalistischen Fesseln zu befreien“, und argumentiert gleichzeitig für „die Pflicht der Frau zur Sicherung des Nachwuchses“.
Daß Jäckle den Bogen zu den aktuellen Auseinandersetzungen beispielsweise um die Verharmlosungspolitik der Bundesärztekammer nach dem GAU in Tschernobyl, aber auch zum letzten großen „Euthanasie„-Ärzteprozeß in Frankfurt spannt, macht das Besondere an ihrer Arbeit aus, die ansonsten kein Neuland erforscht, sondern einen gut lesbaren Überblick verschafft. Ihr Hauptaugenmerk richtet sich allerdings auf die Politik der Ärztemehrheit: oppositionelle Ansätze wie die Gründung von Polikliniken in der Weimarer Republik, aber auch die Aktivitäten der diese verschütteten Traditionen allmählich wiederentdeckenden linken ÄrztInnen-Listen werden nur kurz gestreift.
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Renate Jäckle, „Die Ärzte und die Politik - 1930 bis heute“. Becksche Reihe, C.H. Beck Verlag, 188 Seiten, 17,80Mark
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