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Rollenwahrnehmung

■ Über den Sieg der Schüchternheit

Jeder von uns Journalisten hat auch ein Pressefach. In das stopfen fleißige Hände, was Produzenten und Regisseure, Verleihe und Freunde, einem mitteilen möchten. Je wichtiger jemand ist, desto voller wird sein Fach im Laufe des Tages. Als ich das erste Mal hier war füllte sich mein Fach am Tage dreimal. Heute kennt man mich und weiß, daß ich nichts zu sagen habe. Es gibt keine Einladungen mehr zu mehrtägigen Reisen durch die feinsten Restaurants des Veneto wie noch vor drei Jahren. Eine Filmproduktion, deren Namen ich vergessen habe, bot damals zusammen mit irgendeiner staatlichen Institution diese Tour an. Man wollte uns die Schönheiten des Landes zeigen und uns aufklären über die edlen Vorhaben des Unternehmens. Ich esse gerne, ich schlafe gerne in frischer Bettwäsche und ich liebe aufwendige Badezimmer und Leute, die freundlich lächelnd fragen, ob man noch einen Wunsch habe. Aber dann siegte, nein nicht das Pflichtbewußtsein, sondern die Schüchternheit. Ich besitze keinen Anzug, habe nur zwei Hosen dabei und vier Hemden. Alles nicht comme il faut. Vor allem aber, worüber rede ich mit den rich and beautiful? Sie stehen da, mit einem Whiskyglas in der einen und einer schönen Frau an der anderen Hand und reden...Ich wüßte gerne worüber. Über die Qualität der eben genossenen Pilzsuppe? Über ihre letzte Begegnung mt Fanny Ardant? Über die Fortschritte ihrer Rückhand seit sie in Monte Carlo bei... Stunden genommen haben?

Ich weiß nicht, wie man ein Whiskyglas hält, und eine schöne Frau steht mir auch nicht zur Verfügung, und wenn ich dastehe mit ihrer Hand in der meinen, so wüßte jeder, daß sie mich in der ihren hat. So werde ich schuld sein, wenn Herr Hassemer Samstag abend Tränen vergießt, weil ihm ein Vergnügen verweigert wurde. Schließlich hat er mich eingeladen. Sehr freundlich sogar: „the senator for cultural affairs Berlin, Dr.Volker Hassemer, requests the pleasure of the company of Arno Widmann at a reception at the hotel des bains on saturday, september 3rd from 4.30 till 6.30 p.m.“

Ich werde mir statt dessen a fish called wanda von Thomas Chrichton ansehen. Da gibt es eine schöne Frau Jamie Lee Curtis - und ich kann sie mir in aller Ruhe ansehen, kann jeden Quadratzentimeter der Haut betrachten begeistert hingerissen oder kritisch stirnrunzelnd - ohne mir Gedanken über meine dürftige Erscheinung zu machen. Sie sieht mich nicht. Sie ist auf der Leinwand und ich im Zuschauerraum.

Arno Widmann

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