DIE ALTEN HERREN DER NEUEN MUSIK

 ■  Luigi Nono - die kleine radikale Minderheit

Berlin heißt ja jetzt Ort des Neuen. Und es gibt reihenweise alte Herren in der Neuen Musik, die mit Fug und Recht von sich sagen können: Ich bin ein Berliner. Die Festwochen veranstalten also eine Reihe 'Komponistenportraits‘ im neuen Kammermusiksaal - 8 mal 3 Konzerte jeweils am Wochenend.

Der Anfang war schon das Ende. Der Ton wandert durch den luftigen Saal, ein zarter, kränklicher. Wird schwächer, bäumt sich noch einmal auf, und verlischt. Stille. Irgendwo in Block F poltert die berühmte Stecknadel zu Boden, vielleicht war es auch ein Knopf. Das macht einen Höllenlärm und ist doch ganz egal - Tote schlafen fest, und die Musik ist längst gestorben. Eingegangen in ewigen Frieden, hat sich der irdischen Hülle entäußert und wurde reiner Geist, absoluter Geist. Luigi Nono sagt es am schönsten nur mit den Händen: il suono magico, das ist das Andere, der Ton, der nicht mehr klingt.

Nono ist der letzte aufrechte Tonsetzer unserer Tage. In einer Zeit, da rund um die Uhr sich alles blöde dudelt und die Leute aus schierem Selbsterhaltungstrieb dazu übergegangen sind, mit den Augen zu hören, bleibt er seinem Metier absolut treu: Nono setzt Töne. Er tut es unter Berufung auf Beethovens spätes a-moll-Quartett „mit innigster Empfindung“ und beschwört uns, das Hören wieder neu zu lernen: Nicht die Quantität der Klänge ist wichtig, auf die Qualität kommt es an.

Schon immer hat er die Töne ernster genommen als dogmatische Techniken und Theorien - woran es wohl liegt, daß seine Stücke aus den Sechziger und Siebziger Jahren nicht altern, oblgeich die Themen, über die er sie schrieb, längst verstaubt sind: Vietnam, Malcolm X, Che Guevara, und zum Mai '68 das Manifest 'Non consumiamo Marx‘.

Seit der sogenannten Quartett-Wende 1980 ist Nono immer leiser geworden bis an die Grenze des Hörbaren, bis zum Verstummen: der Höhepunkt im 'Post-Prai-Ludium BAAB-ARR‘ für Oktavflöte, uraufgeführt am Wochenende im Kammermusiksaal, ist, wenn sogar das Atmen ausbleibt. Gidon Kremer aber hat bei der Uraufführung von 'La lontananza nostalgica-futura‘ immer dann besonders viel zu tun, wenn seine Geige kaum noch klingen soll.

Nono drückt ihn dankbar ans Herz und sorgt dafür, daß die Matinee am nächsten Tag umgekrempelt wird: noch einmal, außer der Reihe, spielt Kremer - diesmal als pures Solo ohne Live-Elektronik. Dafür bestreikt der Maestro das angekündigte Werkstatt-Konzert mit Studenten der Berliner Musikhochschule, über deren Dummheit er sich schon einmal so schrecklich hat ärgern müssen, und auch das öffentliche Gespräch mit der Musikkritik fällt flach. Natürlich ist sowas elitär. Selbstverständlich ist Nono ein Ästhet. Und doch bleibt er in der Negation des Falschen absolut authentisch - eine feine kleine radikale Minderheit.

Elisabeth Eleonore Bauer