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„Wer grün wählt, will Neuwahlen“

Umwelt Hauptthema im schwedischen Wahlkampf / Am 18.September hat „Miljöpartiet“ gute Aussichten, in den Reichstag einzuziehen Sozialisten und Konservative voller Angst vor einem neuen „Zünglein an der Waage“  ■  Von Gisela Petersson

Stockholm - Was ein Farbfernsehgerät mit dem Vorsitzenden der schwedischen Konservativen zu tun hat? Ganz einfach: Kauft man ersteres und ist unzufrieden, kann es innerhalb von drei Tagen zurückgebracht werden. Wählt man letzteren und das Ergebnis enttäuscht, heißt es drei Jahre bis zum Umtausch warten. So verkünden es ganzseitige Werbeanzeigen einer Elektroladen-Kette. Wie viele andere segelt diese Firma mit dem Wind des schwedischen Wahlkampfes 1988. Und es scheint, als würden die Werbemanager der Wirtschaft mit mehr Pepp, Witz und Direktheit im Wahlkampf mitmischen als die Manager der Parteien.

Gäbe es nicht die schwedischen Grünen - „Miljöpartiet de Gröna“ -, die Tage bis zur Wahl am 18.September würden schwedisch unterkühlt dahinplätschern. Selbst Ministerrücktritte und eine ansehnliche Reihe von Skandalen

-vom Waffenhandel bis zum „Privat-Ermittler“ im Mordfall Palme, Ebbe Carlsson - sorgten nicht für Würze im Wahlkampf. Die Grünen wollen partout auf einige der 349 Sitze des schwedischen Reichstages vorrücken und auch in den 23Landtagen und 284 Gemeindeversammlungen mitentscheiden. Am 18.September werden in einem Aufwasch all diese Parlamente gewählt. Wenn sich die Meinungsforscher nicht täuschen, können die Grünen bequem die Vier-Prozent-Hürde zum Reichstag überspringen. Erstmals seit 70Jahren würde damit eine neue Partei ins schwedische Parlament einziehen.

Für viele Kommentatoren ist der 18.September bereits heute ein „historischer Tag“. Je stabiler die Umfrageergebnisse werden, desto unruhiger rutschen die fünf etablierten Parteien auf ihren Reichstagsstühlen. Da ist einmal die sozialdemokratische - „sozialistische Arbeiterpartei“, bereits 50 Jahre an der Macht, unterbrochen nur durch eine kurze Phase auf der Oppositionsbank zwischen 1976 und 1982. Damals bildeten die Zentrumspartei (Bauernpartei), die Konservative Moderate Sammlungspartei und die Liberalen eine bürgerliche Koalition. Schließlich sitzt die „vpk“ im Reichstag, die Kommunistische Partei. Mit ihren zuletzt 5,4Prozent arbeitet die „vpk“ mit den Sozialisten zusammen, die bei den Reichstagswahlen 1985 auf 44,7Prozent kamen. Die drei bürgerlichen Parteien verfügten gemeinsam über 47,9 Prozent der Stimmen.

Sollten die Grünen den Sprung ins Parlament schaffen, könnten sie künftig die Rolle des Züngleins an der Waage spielen. Nur: Mit wem sie zusammenarbeiten wollen, ist noch unklar. Der amtierende Ministerpräsident und Palme -Nachfolger Ingvar Carlsson ließ sich zu einer heftigen Reaktion hinreißen: Sollte eine sozialistische Regierung an der Durchsetzung ihrer ökonomischen Grundsatzpolitik durch die Grünen gehindert werden, sehe er nur zwei Möglichkeiten: Die Regierung träte zurück oder es würden Neuwahlen ausgeschrieben. Auf einen kurzen Nenner gebracht sagte Carlsson: „Wer grün wählt, riskiert Neuwahlen.“ Liberale und Konservative stießen ins gleiche Horn. Niemals würden sie eine Regierung bilden, deren Handlungsfähigkeit von den Grünen abhängig sei.

Als Antwort auf Carlssons Drohung gingen die Grünen auf die Sozialdemokraten zu und meinten, daß sich die Grünen eine Unterstützung sozialdemokratischer Politik vorstellen könnten. Vorausgesetzt, man einige sich in Sachfragen. Sachfrage Nummer Eins ist für die „Miljöpartiet“ die Umweltpolitik. Strengere Grenzwerte bei der Emission von Schadstoffen, 40 Milliarden Kronen zum Ausbau der Bahn anstelle gigantischer Straßenprojekte. Nutzung von Wind-, Wasser- und Sonnenenergie und damit weg von der Abhängigkeit von Öl und Kohle, höhere Steuern auf Benzin und Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb von drei Jahren sind die Herzstücke grüner Forderungen. In Sachen Ausstieg hat die Regierung bereits Nägel mit Köpfen gemacht. 1995 bzw. 1996 sollen die ersten zwei der insgesamt zwölf schwedischen Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Den Konservativen, die vom Kindergarten über die Schule bis hin zum Gesundheitswesen weite Teile privatisieren wollen, erscheint dies „verfrüht“. Zentrumspartei und Kommunisten verlangt es nach einem schnelleren Stopp.

Ein weiteres Thema, das auch nach dem 18.September interessante Debatten verspricht, ist die Familienpolitik. In dem Land mit der höchsten Frauenerwerbsquote aller westlichen Industrienationen (84 Prozent) wollen die Sozialdemokraten den neunmonatigen Erziehungsurlaub auf 18 Monate ausdehnen. Die bürgerlichen Parteien setzen statt dessen in einem gemeinsamen Vorschlag auf „Wahlfreiheit“. Sie versprechen vom ersten bis zum siebten Lebensjahr eines Kindes ein Erziehungsgeld. Die Eltern sollen 15.000 Kronen rund 5.000 DM - pro Jahr und Kind und damit eine „reelle Chance erhalten, Erwerbstätigkeit mit der Elternrolle zu kombinieren“. Die Grünen, die im Wahlkampf gegen eine Mitgliedschaft in der EG und für den Sechs-Stunden-Tag plädieren, wollen 24 Monate Erziehungsurlaub. Statt Erziehungsgeldes soll ein Elternteil zu Hause bleiben und von der Gemeinde bezahlt werden. Schweden wäre nicht Schweden ohne das Thema Steuern auch im Wahlkampf. Einkommenssteuer auf niedrige Einkommen 'runter (sozialistisches Wollen) oder 'rauf. Weg mit den Verbrauchersteuern auf Grundnahrungsmittel (Vorschlag quer durch die Parteien) oder höhere Besteuerung von Benzin und Energie (wie die Grünen fordern) sind die größten Stücke aus dem Steuerpuzzle des Wahljahres 1988.

Kein Wahlkampfthema in dem Land mit den 8 Millionen Einwohnern und der 90prozentigen Wahlbeteiligung ist die Beschäftigungspolitik. Kein Wunder: Die Arbeitslosenquote lag noch nie so niedrig wie zur Zeit, im Jahresdurchschnitt bei rund 1,5 Prozent.

Robbensterben, Verseuchung der Meere und die immer noch spürbaren Auswirkungen von Tschernobyl hatten schon vor Wahlkampfbeginn Fakten geschaffen, die alle im Wahlkampf antretenden Parteien zwingen, umweltpolitisch Farbe zu bekennen.

Wie andere Parteien Umweltprobleme angehen, zeigt die persönliche Bemerkung von Lars Werner, Jahrgang 1935 und Vorsitzender der schwedischen Kommunisten: In seiner Jugend habe es in Stockholm ein striktes Badeverbot in allen Flüssen gegeben, weil sie damals von Abwässern stark verunreinigt waren. Heute könne man mitten in der Stadt baden und fischen. Ohne Gefahr. Wo sonst, so fragte er, gibt es noch eine Großstadt in Europa, wo die Umwelt so intakt ist?

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