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Eine Rückkehr mit erhobenem Kopf

■ Nach 44 Jahren kehrten jüdische Zwangsarbeiterinnen für eine Woche nach Bremen zurück / Auf der Viehweide, wo ihr Lager stand, wurde jetzt ein Mahnmal errichtet / CDU forderte Kriegerdenkmal für Zustimmung zum Mahnmal / Frauen erinnern sich lieber an Hilfe als an ihr Leiden

Sie kamen einzeln nach vorne und berichteten von ihren Erlebnissen in der Stadt, in die sie nach 44 Jahren zurückgekehrt sind. Meistens war es das Gute, was die 32 ehemaligen Zwangsarbeiterinnen auf der Pressekonferenz den Journalisten erzählen wollten: der Trost im Elend, der ihnen geholfen hat, zu überleben. Von heimlich zugesteckten Brotstücken war da die Rede, vom rauhen, aber gütigen Vorarbeiter Jonny, sogar von einem Geburtstagskuchen, den die Bremerin Henny Brunken für eine jüdische Zwangsarbeiterin buk und von ihrem Kind durch die Postenkette schmuggeln ließ. Nach den Grausamkeiten, den Schlägen, den Todesopfern mußten die Frauen erst gefragt werden.

Vom September 1944 bis zum April 1945 waren rund 800 jüdische Mädchen und junge Frauen im KZ Obernheide bei Bremen interniert. Die SS hatte sie aus polnischen und ungarischen Ghettos über Auschwitz nach Bremen deportiert. An der Rampe von Auschwitz waren sie von ihren Familien getrennt worden. Alte und Kinder kamen sofort ins Gas. Verantwortlich dafür, auch Ungarn judenfrei zu machen: der SS-Obersturmbannführer Kurt A. Becher, der nach dem Krieg in Bremen eine steile Karriere als Getreidehändler machte. In Budapest war er enger Mitarbeiter von Adolf Eichmann, seine Spezialität waren allerdings nicht die Deportationen, sondern die Geschäfte: „Menschenleben gegen Geld“. Er ließ wohlhabende ungarische Juden ausreisen, wenn sie der SS ihr Vermögen übergaben. Im Jahr 1987 verkaufte Becher seine Bremer Firma an den US-Nahrungsmittelmulti Con-Agra und lebt heute als millionenschwerer Pensionär in der Hansestadt.

Der Bremer Bausenator hatte im Sommer 1944 bei der SS KZ -Häftlinge bestellt, um der Bombenschäden Herr zu werden. Kolonnenweise wurden die Jüdinnen im Herbst und Winter 1944/45 Bremer Baufirmen zugewiesen. Nach den Bombennächten mußten sie in den Bremer Straßen Trümmer räumen. Vier Mark pro Tag bekam die SS für Unterbringung und „Verpflegung“. Auf ihren Rücken waren große weiße Kreuze aufgenäht, damit die Wachposten es bei Fluchtversuchen mit den Zielen leichter hatten. An Hunger und Entkräftung starben bis zum April 1945 zehn Frauen. Vor der näherrückenden Front trieb die SS die Frauen ins Vernichtungslager Bergen-Belsen. Wieviele an dem dort grassierenden Typhus starben, ist nicht bekannt. „Kraft der Gewaltlosen“

Als die Frauen ihren Kranz niedergelegt hatten, brachen viele von ihnen in Tränen aus. „Zum Gedenken. Die überlebenden Lagerschwestern“, stand auf der Schleife. Einige beteten, andere versuchten, auf der sattgrünen Viehweide „ihr“ Lager wieder erstehen zu lassen. Wo das steinerne Mahnmal in der vergangenen Woche eingeweiht wurde, da standen früher das Tor und die Verwaltung. Dahinter die SS-Unterkünfte und die Baracken der Häftlinge. Links zog sich ein Splittergraben hin, ein provisorischer Schutz gegen Bombenangriffe. Sichtbare Spuren hinterließ das Lager auf der Viehweide am Bremer Stadtrand nicht: Als die Engländer im April 1945 nach Stuhr kamen, schossen sie die Baracken in Brand.

Weithin sichtbar ist jetzt das Mahnmal. Es besteht aus 60 braunen, okerfarbenen und blau- grauen Sandsteinen, vielfach durchbohrt und gebrochen, in acht Reihen aufgeschichtet. Die „unerbittliche Kraft der Gewaltlosen“ wird damit symbolisiert, „und Hoffnung auf Frieden und Verständigung“. So die Bildhauerin und Designerin Wittmute Malik, die das Werk schuf.

Umgeben sind die Steine von einem weiten Karree aus zweifarbigem Kies. Fünf Pappeln, die die fünf Finger einer aufgereckten Hand darstellen sollen, werden in diesem Herbst am Rand des Kiesplatzes gepflanzt.

Lehrer und Schüler aus Stuhr, Vertreter der Parteien, Nachbarn aus den umliegenden Ortsteilen waren zur Einweihung des Mahnmals gekommen. Erster Redner war Hermann Rendigs, Gemeindedirektor der Bremer Stadtrandgemeinde Stuhr, in der das frühere KZ liegt. Die Debatte um das Mahnmal sei „ein schwieriger und mühsamer Entscheidungsprozeß“ gewesen, sagte er. Jeder einzelne habe zur Kenntnis nehmen müssen, daß die dunkle NS-Zeit „bis in die Gemeinde Stuhr reicht“.

Der Anstoß kam von der SPD- Fraktion im Gemeinderat. Hartmut Müller, SPD-Ratsherr und zugleich Leiter des Bremer Staatsarchivs, war auf den Briefwechsel des Bausenators mit des SS gestoßen und hatte den Standort der Lagerbaracken ausfindig gemacht. Sein Buch Die Frauen von Obernheide erschien vor wenigen Wochen. Für die Stuhrer SPD-Fraktion verlangte Müller, daß ein Mahnmal aufgestellt wird. Widerstand im Rat leistete die CDU: Sie wollte nur zustimmen, wenn im Gegenzug das Kriegerdenkmal vom Friedhof auf den Rathausplatz gebracht würde. „Zu teuer“ findet Fraktionssprecher Jürgen von Weyhe das Mahnmal auch heute noch. An der Einweihung nahm er nicht teil.

Der Landesrabbiner von Westfalen, Barslay, in seiner Ansprache: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, ist auch blind für die Gegenwart.“ Die Haltung des jüdischen Volkes in Israel sei nicht zu verstehen ohne den Holocaust, dem sie in Europa entkommen sind. Nur so könne man den Wunsch der Israelis nach „Sicherheit im eigenen Land“ und die „aktuellen Vorkommnisse“ im Nahen Osten erklären. Zum Schluß sangen die Frauen von Obernheide, die greisen Überlebenden des Holocaust, die Nationalhymne Israels. Mit erhobenem Kopf

Konrad Kunick, Bremer Senator für Arbeit, und deswegen auch zuständig für die Entschädigung von früheren Zwangsarbeitern, hatte die „Frauen von Obernheide“ eingeladen. Mehr als 300 ehemalige Leidensgenossinnen hat Lilly Maor aus Heifa ausfindig gemacht. Die meisten leben in Israel, andere in Ungarn, Schweden, den USA, Argentinien, Kanada und anderen Ländern. Warum sie gekommen sind? Lola Cederbaum-Ohringer hat einen persönlichen Grund: Ihre Schwester, die mit ihr zusammen in Obernheide war, starb wenige Wochen vor der Befreiung im Krankenrevier und ist auf dem Osterholzer Friedhof begraben. „Wir sind jetzt hier mit erhobenem Kopf, nicht mit gesenktem Kopf und unter Zwang wie früher. Wir können hier jetzt frei sprechen. Dieser Besuch ist wie ein Denkmal.“

Die Standard-Führung durch die Bremer Innenstadt wurde für die 32 Frauen zur Traumreise: „Wir kennen das alles nur bombardiert, oder als die Stadt brannte, nach einem vierstündigen Bombenangriff“, erinnerte sich Frieda Gottesmann, „jetzt ist alles wie geleckt, als wenn das nie geschehen wäre.“

Michael Weisfeld

Zum Weiterlesen: Die Frauen von Obernheide. Jüdische Zwangsarbeiterinnen in Bremen 1944/45. Von Hartmut Müller, Donat-Verlag, Bremen, 19,80 Mark

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