AKWs kein Mittel gegen den Treibhauseffekt

Der weltweite Ausbau der Atomkraft würde dem Kampf gegen die globale Erwärmung eher schaden als nützen / Forschungsmittel für erneuerbare Energien einsetzen / Amerikanische Wissenschaftler widersprechen der Weltklima-Konferenz von Toronto  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Das Washingtoner „World Watch Institute“ warnt vor allen Versuchen, die weltweit zusammengebrochene AKW-Konjunktur mit Hilfe des Klimaarguments wieder anzukurbeln. Denn selbst ein weltweit forcierter Ausbau der Atomenergienutzung wäre ungeeignet, den sogenannten Treibhauseffekt in absehbarer Zeit nennenswert einzudämmen. Mit dieser Auffassung hat jetzt das rennomierte Washingtoner Umweltinstitut einer Erklärung der Weltklimakonferenz in Toronto widersprochen. Die in der kanadischen Hauptstadt versammelten Wissenschaftler und Politiker hatten im Juni die Atomenergie als eine jener Energieformen gepriesen, mit der die drohende globale Erwärmung aufgehalten werden könne. Zum erklärten Nahziel der Konferenz, den weltweiten Kohlendioxid-Ausstoß aus Kraftwerken mit fossiler Befeuerung bis zum Jahr 2005 um 20 Prozent zu reduzieren, könnte ein heute aufgelegtes Atomprogramm jedoch mit nicht einmal zwei Prozent beitragen.

In der jetzt erschienenen Ausgabe des 'World Watch Magazine‘ beruft sich Christopher Flavin, einer der Vizepräsidenten des Instituts, auf Untersuchungen des unabhängigen Rocky Mountains Institutes in Colorado (USA). Die Wissenschaftler hatten ein Szenario entwickelt, in dem die erwartete globale Erwärmung bis Mitte des nächsten Jahrhunderts durch den Ersatz von Kohlekraftwerken mit AKWs um 20 bis 30 Prozent reduziert werden sollte. Ergebnis: Über einen Zeitraum von 40 Jahren müßte auf der Erde alle ein bis drei Tage ein Atommeiler ans Netz gehen. Die Gesamtkosten eines solchen von Flavin als „ökonomisch und politisch undenkbar“ klassifizierten Programms würden sich auf etwa 9 Billionen (9.000 Milliarden) Dollar belaufen.

Tatsächlich gebe es, so Flavin zwei Jahre nach Tschernobyl rund um den Globus eine kräftige Strömung gegen eine Ausweitung der Atomkraftnutzung. In den USA wurde seit 1979 kein einziger Reaktor mehr bestellt. Über hundert Aufträge, darunter alle nach 1974 georderten, wurden annulliert.

In der Sowjetunion sei es, meint Flavin, „nur noch eine Frage der Zeit“, wann der aktuelle Fünf-Jahres-Plan zum Ausbau der Atomenergie nach unten korrigiert werde. Proteste von Bürgergruppen, die sich nach Tschernobyl gegründet hatten, und lokaler Politiker haben nach dem Eingeständnis sowjetischer Spitzenpolitiker dazu beigetragen, daß nicht nur zwei in Tschernobyl geplante Reaktoren nicht mehr gebaut werden. Auch Baupläne für Atommeiler bei Odessa, Minsk, Krasnodar und Kiew wurden aufgegeben.

Christopher Flavin wendet sich entschieden gegen den Ausbau der Atomenergienutzung. Damit könnten Forschungs- und Entwicklungsmittel gebunden werden, die anderswo dringend gebraucht werden - etwa bei den Bemühungen, die globale Erwärmung durch eine effizientere Energieausnutzung zu vermindern sowie bei der Entwicklung erneuerbarer Energieträger und Wiederaufforstungsprogramme.