: Mit Tröten und Trillern die Imperialisten stören
Spektakel im Stuttgarter Theaterhaus beim Gespräch mit IWF- und Weltbankvertretern / Farbeier und ohrenbetäubender Lärm unterstützen die Argumente der IWF-Gegner / Veranstalter kläglich um Öffentlichkeitsarbeit bemüht ■ Von Dietrich Willier
Stuttgart (taz) - Trillerpfeifen, Tröten, Rasseln, Spektakel im Stuttgarter Theaterhaus. „Wir sind nicht hier, weil wir von Vertretern des Internationalen Währungsfonds etwas hören wollen oder ihnen etwas zu sagen hätten“, verkündet eine Stimme per Megaphon, „im Gegenteil, wir werden diese Herren stören!“
Das Theaterhaus in Stuttgart-Wangen hatte im Rahmen sogenannter „Wangener Gespräche“ neben Ludger Vollmer von den Grünen, dem Hamburger Ökonomen Prof.Herbert Schui und dem ehemaligen Banker Phillip von Bethmann je einen Vertreter des IWF und der Weltbank zur Podiumsdiskussion geladen. Ein Stuttgarter IWF- und IWF-Frauen-Plenum hatte schon in einem Flugblatt deren Ausladung gefordert. Andernfalls würde die Diskussion verhindert. „Die Hoffnung, bei IWF-Vertretern ein offenes Ohr zu finden“, so war jetzt wieder aus dem Megaphon zu hören, „sei naiv, eine solche Diskussion überhaupt zu veranstalten sei politisch falsch, denn sie verwische die Gegensätze zwischen Ausbeutung der Dritten Welt, und dem Widerstand dagegen„; ohrenbetäubender Lärm, die ersten Farbeier klatschen hinter dem Podium an die Wände.
Schon Tage vorher war für Mitarbeiter des Theaterhauses klar, daß eine solche Veranstaltung auf keinen Fall ein polizeiliches Problem werden dürfe. Stalinistischen Methoden aber, so hieß es jetzt, wolle man sich ebensowenig beugen. Ratlosigkeit und Betretenheit auf der einen Seite, triumphierendes Trillern auf der anderen. Für eine Mehrheit von 150 Interessierten schien der Abend gelaufen, die etwa 60 „Revolutionäre“ hatten die Machtfrage längst beantwortet, die Schlange um ein Glas Bier an der Bar nebenan wurde lang und länger.
„Hoch die internationale Solidarität“, kam es wieder aus dem Megaphon, und: „Verhindern wir den IWF-Weltbank -Kongreß!“ - aber der fand im Theaterhaus ja gar nicht statt. Die Vertreter von IWF und Weltbank hatten sich vom Podium verzogen, „Mörder, Mörder“, schrie es aus den Reihen der schwarzen Lederjacken.
Die erste Stunde ging langsam zu Ende. Er habe gedacht, daß er in einem Theater reden solle, mault der schwarze IWF -Vertreter. Ein Meinungsbild, was jetzt geschehen solle, fordert einer der IWF-Gegner, schließlich könne man doch nicht den ganzen Abend trällern.
Ein Mitglied des Theaterhauses besänftigt mit der Mitteilung, die Veranstalung habe auch im eigenen Haus Kontroversen ausgelöst. Aber gesprochen und gestritten werden müsse doch, Glasnost sei angesagt - Tumult, die ersten Mikrofone sind verschwunden, fast unbemerkt kämpft der Steuerberater des Hauses mit großem körperlichen Einsatz um ein Verstärkerkabel.
Der Sieg der antiimperialistischen Front im Theaterhaus in Stuttgart-Wangen ist jetzt unverkennbar. Während sich am Rande des Publikums ein junger Türke und der IWF-Vertreter mit Schlägen drohen, behauptet ein anderer türkischer Mitbürger, diese Herren längst im Griff zu haben - in ihren Gesichtern erkenne er, daß sie innerlich verrostet und die größten Verbrecher dieser Erde seien. Satz für Satz wird er von Applaus oder ablehnendem Geheul begleitet. Gleichberechtigung fordert dann ein junger Trullerer in engem schwarzem Beinkleid, Frauen wie Typen müßten vom Podium herunter, ein Mikro reihum genüge, um sich zu verständigen. Irgend jemand, der Ludger oder der Herbert, solle doch endlich etwas sagen, drängelt etwas resigniert der Veranstalter des Abends.
Der Grüne Vollmer wagt's. An der Vorbereitung von Gegenveranstaltungen zum IWF-Kongreß, meint er, seien viele dran, auch die Info-Stellen Nicaragua, Guatemala und El Salvador. Alles Gruppen, die eine konsequente antiimperialistische Politik verträten. Weit gefehlt, die „Revolutionäre“ sind da anderer Meinung - Pfiffe, wem jetzt der vielkehlige Ruf „Mörder, Mörder“, gilt, ist nicht mehr auszumachen. „Ausgesprochen schwierige Sache“, findet Vollmer, Bewußtseins- und Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich zu betreiben. Über den politischen Effekt, daß hier Information und Diskussion verhindert werden, meldet er seine Zweifel an. Ein IWF-Gegner will jetzt aber ganz genau wissen, was Otto Schily jüngst in Israel zu suchen hatte. Wütende Pfiffe und Geschrei bei Vollmers Forderung nach einem Existenzrecht Israels. Der Staat Israel nämlich, belehrt ihn ein langer Mensch, sei „'ne Konsequenz, daß sich die Imperialisten weltweit durchsetzen könnten“.
Die Auseinandersetzung beginnt ein wenig ihre inhaltliche Stringenz einzubüßen, ein paar geduldigere IWF-Gegner haben sich kopfschüttelnd in einem Nebenraum zum frischen Hofbräu eingefunden, die Reihen erstaunter Zuschauer beginnen sich zu lichten. Und weil der rechte Gegner nicht mehr so recht erkennbar ist, sitzt nun sogar die westeuropäische Front vor dem Podium auf dem Boden. Der Beitrag einer älteren Frau, die vorher noch ungehindert reden durfte, geht jetzt plötzlich im schonungslosen Selbstbewußtsein antiimperialistischer Pfiffe unter. Der Frankfurter Banker und IWF-Kritiker Phillip von Bethmann sah sich schon nach seinem zweiten Satz entlarvt: „Ich kenne die Kapitalisten besser als Sie“, wagte er zu sagen, „ich bin selbst einer!“ Der Rest seines Beitrags verscholl unhörbar im Getümmel. „Ich habe das Böse erkannt“, rief noch der seherische Türke, dann war man mit ein paar mild-kritischen Menschen, die das alles noch nicht fassen konnten, unter sich. Am kommenden Samstag um elf Uhr wird Stuttgart unter einer Demonstration des IWF- und IWF-Frauen-Plenums erzittern.
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