piwik no script img

Thomas Wulffen

Nichts Genaues sieht man nicht!

Der Rahmen ist vorgegeben, darin hat sich das Bild zu bewähren. Was aber zeigt das Bild? Ein Drahtzaun wird durch einen Holzpfosten unterbrochen, an dem ein angebrochenes Holzschild angebracht ist. Auf dem Schild ist zu lesen: Bitte Nicht Füttern Krank. Der untere Rand des Holzschildes wird durch einen Strich in der gleichen Farbe der Schrift hervorgehoben. Hinter dem Zaun wird eine abgemähte Wiese sichtbar.

Diese Beschreibung, wenn sie zutreffen sollte, legt weiteres nahe. Die grüne Wiese wird als Weide idenfiziert, auf denen Rindviecher, im Folgenden Viecher, Nahrung suchen. Zaun und Hinweisschild sollen den Spaziergänger, im folgenden Gänger, vom Betreten und Füttern abhalten. Zaun und Schild sowie der daraufbefindliche Text aber wurden vom Bauer, im folgenden nur Bauer, hergestellt. Der Text bzw. der Textpartikel „Krank“ deutet allerdings darauf hin, daß nur wenige Viecher hinter dem Zaun weiden, vielleicht nur eines. In dem Dreieck Bauer, Viech und Gänger lassen sich wesentliche Konstellationen darstellen. Wer aber soll in dem Dreieck zwischen Künstler, Publikum und Kritiker mit wem aus dem sogenannten ländlichen Dreieck identifiziert werden; der Bauer mit dem Kritiker, die Viecher mit dem Publikum und der Gänger mit dem Künstler oder vice versa oder ganz anders?

Die wesentliche Frage ist: Wer ist krank? An diesem Punkt kann sich entscheiden, wie das Rätsel zu lösen ist. Denn ist der Kritiker krank, muß er mit den Viechern identifiziert werden. Oder ist nicht vielmehr die Kunst im Zustand des Leidens, während das Publikum dem Objekt noch weiterhin Nahrung zukommen lassen will? Die Kunst überfüttert und der Kritiker gesättigt? Und das Publikum zufrieden? Um im Bild zu bleiben: Wichtig ist der Bauer, der das Viech nährt, damit der Gänger seinen genuß im Anblick dieser finden kann. Das könnte dann doch eine Beschreibung nahelegen, in der der Künstler mit dem Bauer identifiziert wird (Künstler -Kunstwerk), das Kunstwerk ist das Viech und das Publikum der Gänger, unter denen sich auch der Kritiker zuweilen sehen läßt. Aber wo bleibt Thomas Wulffen, der doch unter dem Bild als Name auftaucht? Ist er außerhalb des Bildes situiert, wie es der Name doch assoziieren läßt oder wird er metaphorisch durch den analysierten Bildinhalt dargestellt? So viele Fragen und kaum eine findet eine Antwort. Aber gleicht nicht jedes Bild einem Rätsel, einer Frage. Vielleicht ist das Foto doch nur wieder ein weiteres Kunstwerk, das auf die Interpretation des Kritikers wartet, der in diesem Fall schneller schweigt als sonst, denn die Identifizierung will er dem Leser überlassen. Zum Schluß dennoch ein paar Hinweise: Zuweilen leidet Thomas Wulffen an dieser hiesigen Kunstlandschaft und von daher läge es nahe, ihn zu den Viechern zu rechnen. Allerdings weidet er nicht nur auf der Berliner Wiese, sondern tummelt sich auch, so weit wie möglich, auf anderen Weiden. Ist er doch nur Gänger? Zum Bauer möchte er sich nicht erklären lassen. Zwar traut er sich doch eine gewisse Portion Kompetenz zu, aber er möchte nicht mit anderen Bauern in einen Topf geworfen werden. Die sorgen zuweilen dafür, daß aus der Wiese doch ein durchfeuchteter Sumpf wird. Wenn ihn eines interessiert, dann die Trockenlegung und die Verbreiterung der Wiese, ob die Viecher nun krank sind oder nicht. Ans Füttern denkt er nicht und gefüttert wird er nicht. Soweit, so gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen