Rettungs-Chaos nach dem Absturz in Ramstein

Die wenigen Notärzte auf der US-Air-Base bevorzugten den schnellen Abtransport, statt die Opfer am Unfallort zu versorgen / Es gab keine zentrale Rettungsleitstelle / Rettungswagen auf dem Weg nach Ramstein wurden zurückgeschickt  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Nach dem flammenden Inferno in Ramstein faßten sich einige GIs ein Herz und bargen mehrere verletzte Menschen aus dem glühenden Feuerball an der Rollbahn. In einem Militärbus transportierten die Soldaten die Verletzten zum nächstgelegenen Krankenhaus, dem US-Hospital in Landstuhl. Doch dort wollte man die zum Teil mit schweren Verbrennungen verwundeten Opfer der „frecce tricolori“ nicht haben, denn die Verletzten waren keine US-Bürger, sondern Deutsche und Luxemburger. Die rund zwanzig teilverbrannten Menschen wurden - zwei Stunden nach der Katastrophe - in eine Klinik in Ludwigshafen eingeliefert; ein Mann war auf dem Transport an seinen Brandverletzungen gestorben. Eine medizinische Betreuung gab es während der Höllenfahrt nach Ludwigshafen nicht.

Nach dem Absturz der drei MacciMB339A dauerte es noch fast eine Stunde, ehe - von Ramstein aus - der Malteser -Hilfsdienst in Ludwigshafen alarmiert wurde. Die Helfer rasten mit Kranken- und Notarztwagen sofort über die Autobahn in Richtung Kaiserslautern. Doch schon in Wattenheim wurden sie über Funk wieder zurückbeordert; man brauche keine weiteren Helferfahrzeuge mehr, hieß es lapidar. Und das zu einem Zeitpunkt, als in Ramstein noch pausenlos Verletzte mit Pritschenwagen und Bussen vom Air -Base-Gelände gefahren wurden. Die Stadt Kaiserslautern machte ähnliche Erfahrungen: Als man dort sofort nach der Katastrophe sechs Einsatzfahrzeuge anbot, lautete die Antwort eines Army-Sprechers in Ramstein, daß man diese Fahrzeuge nicht brauche, denn man habe „alles im Griff“. Eine halbe Stunde später durften die Lauterer Helfer dann ausrücken.

Das Verhalten der Verantwortlichen im US-Hospital in Landstuhl und der irrwitzige Trip der Ludwigshafener Malteser - zwei Beispiele für das Chaos, das nach der Katastrophe in Ramstein herrschte. Aber auch zwei Beispiele für die Unfähigkeit der vor Ort verantwortlich handelnden Personen, die Rettungsaktionen sinnvoll zu koordinieren. Allein 13 Menschen starben auf den Transporten zu den Krankenhäusern, wie der Pressesprecher des rheinland -pfälzischen Innenministeriums, Jo Dietzen, gegenüber der taz bestätigte. Wie viele Menschen in Ramstein sterben mußten, weil ärztliche Hilfe zu spät kam, weil Rettungshubschrauber nicht zur Verfügung standen, weil US -amerikanische Verbindungsschläuche nicht auf bundesdeutsche Tropfflaschen paßten, weil Verletzte von hilfsbereiten Soldaten und Zivilisten dilettantisch behandelt wurden, weil es keine zentrale Rettungsleitstelle gab und weil Schwerverletzte in Krankenhäuser ohne Spezialabteilungen für Brandverletzte gebracht wurden, läßt sich im nachhinein im Detail kaum noch klären.

Der Horror der Stunden nach dem Crash in der Luft wird an Einzelschicksalen überdeutlich: Da holte ein Polizist seinen schwer verbrannten Kollegen aus den Flammen, doch für den Abtransport stand kein Fahrzeug zur Verfügung. Der Beamte schaffte seinen Kollegen selbst in den Streifenwagen und raste mit Blaulicht nach Mainz, zur Uni-Klinik, denn in der Nähe waren - das wußte er über Funk - keine Krankenhäuser mehr anzufahren. Der schwerverletzte Polizist ringt noch heute mit dem Tod. - Da gibt es den mutigen Zuschauer, der ein kleines Mädchen aus den Flammen rettete; das Kind hätte sofort mit dem Hubschrauber in eine Spezialklinik gebracht werden müssen. Doch Rettungshubschrauber waren keine da. Als nach gut einer halben Stunde endlich Helikopter eintrafen, war lange Zeit unklar, welcher Hubschrauber mit welchen Verletzten wohin fliegen würde. Schließlich enterte der Retter des kleinen Mädchens beherzt einen Hubschrauber und drängte den Piloten zum Abflug. Das 95prozentig verbrannte Kind starb einen Tag später im Krankenhaus. Auch bei der Koordination der Rettungshubschrauber gab es Pannen. So wurde die Flugrettungswacht in Stuttgart von den Koordinatoren vor Ort nach der Katastrophe nicht verständigt. Die Besatzung des Rettungshubschraubers „Christoph 16“ aus Saarbrücken bestätigte, daß am Unglücksort „ein ungeheures Chaos“ herrschte.

Dr.Bernd Paul von „Christoph 16“ betrieb denn auch - zwei Tage nach der Katastrophe - Ursachenforschung. Während nach deutscher Verfahrensweise die Erstversorgung der Verletzten vor Ort im Vordergrund der Rettungsbemühungen stehe, hätte die Army den schnellen Abtransport bevorzugt. Und die US -Amerikaner, so auch die deutschen Behörden, hatten auf der Air-Base das Sagen, während außerhalb der Air-Base das bundesdeutsche Rettungssystem galt. In Nummer 152 der 'Ärzte -Zeitung‘ kritisiert Dr.Michael Steen, Oberarzt am Ludwigshafener Verbrennungszentrum, gleichfalls die unterschiedlichen Intensionen bundesdeutscher und US -amerikanischer Rettungssysteme im Notfall. Steen: „Nach unseren Vorstellungen vom Rettungswesen haben die Versorgung am Notfallort und die Herstellung der Transportfähigkeit Vorrang. Die Amerikaner haben dagegen die Verletzten gleich in die Klinik abtransportiert.“

Die US-Amerikaner selbst äußerten sich bislang nicht zu den Prinzipien ihres Rettungssystems, so daß der in Ramstein gleichfalls lautgewordene Verdacht, daß die US-Army aus der Not der fehlenden Notärzte vor Ort eine Tugend gemacht habe, nicht aus der Welt ist. In der Tat spricht einiges dafür, daß die Opfer von den US-amerikanischen Nothelfern aus Verzweiflung („Wie unter Beschuß in Vietnam“, Notarzt Wresch) auf die Pritschenwagen geworfen und abtransportiert wurden. „Dazu wurde alles, was flog oder fuhr, benutzt.“ Für die rund 400.000 BesucherInnen des Flugtages in Ramstein standen ganze fünf Sanitätszelte zur Verfügung. Das Zelt, das dem Katastrophenort am nächsten stand, verbrannte. An bundesdeutschem Rettungspersonal hielten sich auf der Air -Base kaum mehr Helfer des Roten Kreuzes auf als bei einem Bundesligaspiel des 1.FC Kaiserslautern. Und diese Helfer waren mit der üblichen Sanitätstasche ausgerüstet. Vor dem Abtransport hätte zumindest eine „intravenöse Volumenzufuhr mit einer Elektrolytlösung“ ('Ärzte-Zeitung‘) erfolgen müssen. Doch als Notärzte mit den entsprechenden Tropfflaschen kamen, stellte sich heraus, daß die US -amerikanischen Schlauchsysteme nicht zu den bundesdeutschen Flaschen paßten. Die Amerikaner, so ein deutscher Notarzt, hätten Schlauchsysteme benutzt, die in der Bundesrepublik „schon vor 15 Jahren weggeschmissen“ worden seien.

Eine zentrale Rettungsleitstelle, wie sie bei jeder Übung bundesdeutscher Katastrophenschützer eingerichtet wird, gab es in Ramstein nicht. So mußten sich zwangsläufig nicht dafür ausgebildete Soldaten und beherzte Zivilisten um die Brandverletzten und geschockten Menschen kümmern. Die wenigen anwesenden US-amerikanischen Notärzte taten, was sie konnten, doch Hunderte von Verletzten blieben in den ersten Minuten unversorgt. Ärzte aus der Umgebung von Ramstein, US -amerikanische Notärzte und Sanitäter sowie Rettungsprofis mit den entsprechenden Fahrzeugen und mit dem notwendigen Gerät kamen erst nach und nach an. Da muß es den Angehörigen der Toten und den Schwerverletzten, die noch in den Krankenhäusern liegen, wie Hohn in den Ohren geklungen haben, als der US-General Galvin, der Oberkommandierende der Nato-Streitkräfte in Europa, seinen „Jungs“ einen Tag nach der Katastrophe für ihren Einsatz dankte und erklärte, daß die Army in Ramstein „alles im Griff gehabt“ habe.

Gestern ist der 53ste Mensch an den Folgen seiner Brandverletzungen gestorben; rund zwanzig Menschen sind aufgrund ihrer Totalverbrennungen in Lebensgefahr. Und die, die trotz ihrer schweren Brandverletzungen aus dem wahnwitzigen Inferno von Ramstein überleben, werden Zeit ihres Lebens an den sichtbaren Folgen der Verbrennungen zu tragen haben. Bei Patienten, bei denen die Eigenhaut nahezu vollständig verbrannt ist, wird zur vorübergehenden Abdeckung Schweinehaut aufgelegt. In der Ludwigshafener Spezialklinik versucht man, aus Resthautbeständen der Patienten Eigenhaut zu züchten. Vielleicht sollten diese Opfer der sogenannten Flugshow von Ramstein mit ihren Verletzungen an die Öffentlichkeit gehen, falls sie die Kraft dazu haben. Denn wie sagte doch der Air-Force-General William Kirk am Tag nach dem Inferno in Ramstein: „Die Steuerzahler der Nationen sollen sehen, was ihre Luftwaffen zu leisten imstande sind.“