: Natur: kunstvoll künstlich
■ Wird Berlin nächstes Jahr Naturhauptstadt?
Vögel stimmen ein Liedchen an, Frösche quaken um die Wette, Ameisen stehen Spalier: Der Umweltsenator gibt sich die Ehre. Stolz präsentierte er jüngst bei einem Waldspaziergang mit Journalisten, wie sehr ihm die gute alte Natur am Herzen liegt. Leidenschaftlich will er sie schützen, groß und artig mit Zäunen und neu angelegten Wegen, alles nach Vorschrift.
„Berlin setzt neue Zeichen im Naturschutz. Bisher wurden 16 wertvolle Feucht- und andere Grüngebiete als Naturschutzgebiete festgesetzt“, tönt Senator Starnick.
„Natur braucht überall in Mitteleuropa Pflege, so sehr haben wir sie malträtiert“, begründet Hermann Seibert, Gartenbaudirektor der obersten Naturschutzbehörde, mit fast sarkastischem Lächeln die Senatsmaßnahmen. Alles, was vom Aussterben bedroht ist, wird eben eingezäunt. Nicht nur die Robben im Zoo, auch der Frosch im Tümpel oder sogar der ganze Grunewaldsee. Dort darf man jetzt nicht mehr direkt am Gewässer entlangschlendern, weil trampelnde Jogger und buddelnde Hunde die gesamte Fauna und Flora zerstören, sondern muß einen höher gelegenen Waldweg nehmen, von dem aus man aber immerhin noch über ein Drahtzaungeflecht hinweg auf den See blicken darf.
Natur zum Angucken. Und für die bessere Aussicht hat sich der Herr Senator auch etwas einfallen lassen. 360.000 DM machte er locker für zwei Plattformen und einen Laufsteg im mittlerweile auch drahtumrandeten Naturschutzgebiet Riemeisterfenn, einem Moorgebiet, „damit der Besucher die Möglichkeit hat, die Natur zu erleben, ohne sie zu stören“. Sich selbst lobend erläuterte Jürgen Starnick weiter, daß sich seine Behörde nicht nur die größte Mühe gibt, die gefährdete Natur kunstvoll zu erhalten, sondern auch neue Natur künstlich zu erzeugen. So wurde zum Beispiel ein kleiner Tümepl im Düppeler Forst angelegt und eine größere Pfütze im Teltowkanal, bei der die Herren der Verwaltung fast feuchte Augen bekamen, da hier tatsächlich noch Schilf und andere Pflänzchen ganz von alleine wachsen und gedeihen.
Wunder der Natur, es gibt tatsächlich noch wild wucherndes Leben in dieser Stadt, doch auch das braucht eben Kontrolle und Schutz, meint der Umweltsenator. Und das ist auch gut so. Naturschützer kann es nicht genug geben, und in Fachkreisen wird bereits gemunkelt, Berlin im kommenden Jahr eventuell zur Naturhauptstadt zu erklären. Uneinig ist man sich allerdings, ob dann noch mehr das Opfer Natur oder eher der Täter Mensch mit einem Drahtgeflecht geschmückt wird.
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