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Abrechnung mit der Breshnew-Ära

■ Der Historiker Medwedjew geht in einem Artikel gnadenlos mit der „Periode der Stagnation“ unter Breshnew ins Gericht

Berlin (dpa/taz) - Anfang der siebziger Jahre wurde Roy Medwedjew mit seinem Buch „Die Wahrheit ist unsere Stärke“ im Westen berühmt. Das in der Sowjetunion nicht veröffentlichte Buch hatte eine Analyse der Ursachen des Stalinismus versucht. Mit seiner Analyse der BreshnewZeit wirbelt der Historiker und Publizist heute Staub auf. Zeitlich abgestimmt auf den Korruptionsprozeß gegen den Schwiegersohn des alten Generalsekretärs wurde am Mittwoch in der Reformerzeitung 'Moskowskije Nowosti‘ ein Artikel von Medwedjew veröffentlicht, der gnadenlos mit der „Periode der Stagnation“ ins Gericht geht. Breshnew wird als „schwache Persönlichkeit“ gewertet, der sich nur an der Macht habe halten können, weil er „seine Leute im Apparat“ und in den Schlüsselstellungen unterbrachte. Der Apparat sei ins Unermeßliche angewachsen. Als Beispiele dieser Vetternwirtschaft nennt der Autor den früheren Ministerpräsidenten Tichonow, den früheren KGB-Vize Zwigun, Breshnews Sohn Juri, Schwiegersohn Tschurbanow und den späteren Parteichef Tschernenko. Auch heute noch gebe es Anhänger im Apparat. „Und dies ist nicht die beste Komponente seiner Hinterlassenschaft“.

Breshnew wurde wiederum von dieser Camarilla an der Macht gehalten, obwohl er über Jahre krank gewesen sei. So sei Breshnew schon 1976 klinisch tot gewesen, es sei aber gelungen, ihn wiederzubeleben. Sprech- und Denkfähigkeit des Sowjetführers seien anschließend lange Zeit gestört gewesen, schreibt Medwedjew, ohne dafür Quellen anzugeben.

Am Mittwoch, dem dritten Tag der Verlesung der Anklageschrift gegen Breshnews Schwiegersohn und ehemaligen stellvertretenden Innenminister Tschurbanow sowie acht weitere wegen Bestechung Angeklagte, verdichteten sich Informationen, daß Breshnews Tochter Galina im Prozeß als Zeugin aussagen muß. Alle Angeklagten waren während der Ermittlungen geständig, der ehemalige Innenminister Jachjaew sagte am Mittwoch, er sei im Gefängnis unter Druck gesetzt worden.

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