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Atomminister töpfert Genehmigung

■ Bei der Betriebsgenehmigung für das Zwischenlager in Gorleben verzichtet Minister Töpfer auf früher gestellte Bedingungen / Töpfer hatte Reparaturmöglichkeiten für Castor-Behälter bei den AKWs gefordert

Berlin (taz) - Bundesreaktorminister Töpfer ist bei der Genehmigung des Castor-Zwischenlagers in Gorleben offenbar vor den AKW-Betreibern in die Knie gegangen. Die Genehmigung für das Zwischenlager wurde erteilt, obwohl Auflagen, die Töpfer bisher gefordert hatte, nicht erfüllt sind. Die Inbetriebnahme des Lagers für hochradioaktive abgebrannte Brennelemente war bisher unter anderem daran gescheitert, daß bestimmte Reparaturen defekter Castor-Behälter, in denen die Brennelemente transportiert und gelagert werden, in dem Lager selbst nicht durchgeführt werden können. Töpfer hatte deshalb, zuletzt anläßlich der Jahrestagung Kerntechnik im Mai in Travemünde, als „Voraussetzung für den Sofortvollzug“ die „Möglichkeit einer externen Reparatur in Kernkraftwerken“ gefordert. „Die betreibenden Unternehmen sollten daher unverzüglich die Anträge stellen, die notwendig sind, damit dieses Reparaturkonzept auch greifen kann“, sagte Töpfer damals. Wenn nicht „mindestens die Mehrzahl der Kernkraftwerke“ Anträge gestellt hätten, werde er seine Zustimmung zum Sofortvollzug nicht geben.

Töpfer-Sprecher Meister nannte der taz gestern namentlich 13 der 20 bundesdeutschen AKWs, die angeblich inzwischen über entsprechende Genehmigungen verfügten. Auf die Frage, was sich seit der Rede des Reaktorministers vor der Atomgemeinde in Travemünde verändert habe, sagte Meister: „Was seit Mai dazugekommen ist, läßt sich nicht recherchieren.“

Ein Rundruf bei den von Meister genannten Atomkraftwerken ergab, daß in den meisten AKWs weder eine gesonderte Genehmigung zur Reparatur von Castor-Behältern noch ein entsprechender Antrag bekannt ist. RWE-Sprecher Bülow erklärte, Castor-Behälter könnten in jeder „kerntechnischen Anlage“ repariert werden. Gesonderte Anträge oder Genehmigungen seien dazu nicht nötig. Sie seien in den Betriebsgenehmigungen „mit drin“. Auch im AKW Philippsburg, das von Meister ebenfalls genannt wurde, ist von einem entsprechenden Antrag oder einer Genehmigung nichts bekannt. Der Sprecher des bayrischen Umweltministeriums als Genehmigungsbehörde für die AKWs in Bayern, Günter Grass, ist ebenfalls ratlos. Entsprechende Anträge seien in seinem Ministerium nie bearbeitet worden. Castor-Reparaturen in den AKWs hält Grass für ausgeschlossen. Das würde „letztlich nur den Hersteller etwas angehen“.

Auch die von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt am Dienstag erteilte Genehmigung trägt nicht zur Klärung der Situa Fortsetzung Seite 2

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tion bei. Die sogenannte „Nebenbestimmung 24“, in der die Möglichkeit zur externen Reparatur gefordert wird, könne, so die Genehmigung, „derzeit nur von einem Kernkraftwerk mit externem Zwischenlagerbedarf eingehalten werden“. Gemeint ist das AKW Stade, das nach den Recherchen der taz als einziges über die von Töpfer im Mai geforderte Genehmigung zur Castor-Reparatur verfügt. Trotzdem werde, so eine andere Formulierung, die sich vermutlich nur den Autoren der Genehmigung erschließt, die „Nebenbestimmung 24 genehmigungsrechtlich von der Mehrzahl der Kernkraftwerke erfüllt“. Die PTB erteilte ihre Genehmigung wenige Tage nach einem Besuch des Bundesreaktorministers in der vergangenen Woche.

Im Auftrag der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg haben die Anwälte Piontek und Geulen gestern einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht Lüneburg eingereicht. Auch seitens des Bundesumweltministers wird zwischenzeitlich eingestanden, so der Berliner Rechtsanwalt Geulen, daß wegen der „Störfallprobleme“ eine „heiße Zelle“ zur Reparatur der Castor-Behälter notwendig ist. Weil aber in Gorleben dafür die gesetzlichen Grundlagen fehlten, wird die Betriebsgenehmigung nun in der Hoffnung erteilt, daß die „heißen Zellen“ in dem AKW Stade und möglicherweise in anderen Atomkraftwerken ausreichen. Die Genehmigung sei „das unverantwortliche Riskieren eines Störfalles mit schwerwiegender Strahlenfreisetzung, da es nicht möglich ist, einen kritisch gewordenen Castor-Behälter von Gorleben nach Stade oder in ein anderes AKW zu transportieren“. Geulen rechnet in diesem Verfahren mit einem erneuten Betriebsstopp für das Zwischenlager.

Juristischen Widerstand und Protest auf der Straße hat auch der AKW-Gegner und atompolitische Sprecher der niedersächsischen Grünen, Hannes Kempmann, angekündigt. Nach seinen Worten sind die Chancen, daß die PTB im anstehenden Gerichtsverfahren unterliegt, „außerordentlich gut“. Er verwies - wie auch die Rechtsanwälte - auf die Entscheidung des Lüneburger Verwaltungsgerichtes vom Frühjahr 1985. In dem Urteil war der Transport von abgebrannten Brennelementen aus dem Atomkraftwerk Stade abgelehnt worden. Kempmann: „Die Gründe von damals sind auch heute noch gültig.“ Das Vorgehen der Bundesregierung nannte er einen „unglaublichenSkandal“. Mit dem Bescheid vom 6.September werde sogar der Transport von defekten Castor-Behältern quer durch die Republik erlaubt.

gero & wg

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