: IWF-Autonome: Nur Plattheiten übers „Schweinesystem“
■ betr.: „IWF sprachlos“, taz vom 8.9. und Leserbrief vom 9.9.
Werte Autonome, Eure Schweinemasken bei der IWF -Veranstaltung waren wirklich sehr apart und man könnte sich vorstellen, daß sie bei anderen Gelegenheiten einen guten Eindruck machen. Wenn Ihr allerdings meint, daß ein Großteil des Publikums auf nichts anderes als auf Euren Auftritt gewartet hat, und daß dies eine politische Aktion war, dann denke ich, daß da ein Mißverständnis vorliegt und Ihr Euch reichlich überschätzt. Da es Euch - was man möglicherweise bedauern kann - nicht gelingen wird, eine ähnliche Grunz-und Klatschaktion auf dem Bremer Golfplatz abzuziehen, wenn dort die etwas wichtigeren Heren von IWF und Bremer Wirtschaft schlägerschwingend zusammentreffen werden, habt ihr Euch auf das ziemlich billige Mittel verlegt, eine Veranstaltung zu sprengen, die sich kritisch mit der IWF-Politik auseinandersetzen sollte. Aber das ist natürlich nicht Eure Sache, denn Ihr seid ja schon lange zu der wirklich fundamentalen Erkenntnis gekommen, daß es sich alles in allem um ein „Schweinesystem“ handelt. Hut ab vor dieser Entdeckung! Nur fällt Euch leider nicht sehr viel mehr dazu ein, außer ein paar Plattheiten über einen „gemeinsamen Kampf“, den es dagegen zu führen gilt, sei es in der Hamburger Hafenstraße oder bei Hungeraufständen in Afrika. Im Gegensatz zu Euch halte ich es durchaus für sinnvoll, sich unter anderem Gedanken darüber zu machen, was man von der Forderung nach Schuldenstreichung halten soll, wenn z.B. eine Einrichtung wie das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ sich inzwischen (zumindest partiell) befürwortet, oder wenn man bedenkt, daß eine solche Streichung in vielen Fällen solchen Regimen wie dem von Pinochet in Chile zugute käme. Ihr erspart Euch diese und andere lästige Fragen, indem Ihr die Probleme der kapitalistischen Weltökonomie auf die Charakterlosigkeit einiger Personen reduziert und einem langweiligen Bürokraten wie dem anwesenden IWF-Vertreter einen „Spiegel“ vorhaltet. Die IWF-Tagung in Berlin könnte eine Gelegenheit sein, der selbstzufriedenen westdeutschen Öffentlichkeit eine Gegenöffentlichkeit gegenüberzustellen, in der die Bedeutung von IWF und Weltbank bekannt gemacht wird - aber auch ihre Nicht-Bedeutung, denn diese Institutionen sind nicht der Weltmarkt, sie schmieren höchstens seinen bisweilen ächzenden Funktionsmechanismus.
Diese Gegenöffentlichkit verhindern heißt, dem 1. Fernsehprogamm, das Ihr mit Eurer Aktion abzuschalten meintet, und auch allen übrigen Medien, die vor dem IWF -Kongreß ehrfurchtsvoll auf dem Bauch liegen, die Jubelberichterstattung erst recht zu überlassen.
Dorothea Schmidt
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