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Kulturvolle Fabrik-Besetzung

■ In Delmenhorst werden die Säle der Linoleum Werke seit Samstag wieder genutzt / Demonstration unter den Augen der Polizei direkt in das gesperrte Gebäude / Für ein selbstverwaltetes Kulturzentrum

„Power und Glück“ wünschen die BewohnerInnen des inzwischen legalisierten besetzten Hauses am Bremer Buntentorsteinweg ihren Delmenhorster FreundInnen. „Power“ haben die schon bewiesen, als sie am Samstag gleich eine ganze Fabrik besetzten. Mit etwas „Glück“ wollen sie jetzt aus den ehemaligen Wirtschaftsräumen der Delmenhorster Linoleum Werke (DLW) ein selbstverwaltetes Kulturzentrum ma

chen. Bis zu 1.000 Personen passen in den größten der zahlreichen Räume, eine ehemalige Kantine, Leinwand und Projektionsraum für Filmvorführungen stehen schon zur Verfügung. Bis gestern abend hielt sich die Polizei zurück und ließ den ca. 50 BesetzerInnen freies Feld.

Schon 1982 hatte es eine Besetzung des DLW-Gebäudes gegeben. Doch damals warf die Delmenhorster Polizei mit Oldenbur

ger Unterstützung die Jugendlichen sofort wieder heraus. Nach einer städtischen „Nutzerordnung“ werden die Säle zwar seitdem für Musik-, Politik- und andere Veranstaltungen vermietet, der hohe Preis von ca. 600 Mark pro Abend konnte jedoch nur bei überregional bekannten Gruppen gezahlt werden, die Delmenhorster Musikszene blieb draußen vor der Tür.

Seit Juni diesen Jahres finden

dort gar keine Veranstaltungen mehr statt: Die Stadt sperrte die Säle „wegen Baufälligkeit“. Die BesetzerInnen fürchten, daß die Verwaltung den Pachtvertrag mit der DLW zum nächstmöglichen Termin (1.6.89) kündigt. Die Linoleum-Werke würden dann das gründerzeitliche Gebäude abreißen. Schon am Freitag abend hatten die Kulturinitiative Delmenhorst (KID), die Autonomen Antimilitaristen, Umweltschutz-BI's, Grüne und andere Initiativen ein Solidaritätskonzert für die DLW-Säle veranstaltet. Über 200 waren daraufhin am Samstag zu einer Demonstration gekommen, die unter den Augen der Polizei durch die aufgesperrte Tür direkt in das DLW-Gebäude führte.

1,8 Mio Mark würden für die dringendsten Renovierungsarbeiten benötigt, begründete Oberbürgermeister Jürgen Thölke die Absicht der Stadt, die DLW-Säle abzustoßen. Die BesetzerInnen halten jedoch höchstens die Hälfte des Betrags für erforderlich. Außerdem gebe es zu dem großen DLW-Saal in Delmenhorst keine Alternative. Denn die neugebaute „Delmehalle“ wurde für Geflügelausstellungen und nicht für Konzerte geplant und ist zudem noch teurer als bisher die DLW-Säle.

Dieser Meinung ist sogar die Delmenhorster Honoratioren -Gilde „St. Polykarpus“. Deren Obergildemeister Siemer, im

Hauptberuf Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes, parkte schon am Samstag seinen Daimler vor dem besetzten DLW -Gebäude und bot den punkigen BesetzerInnen „Schützenhilfe“ an, wenn sie in ihrem künftigen selbstverwalteten Kulturzentrum auch weiterhin die jährlich stattfindende Wahl der Gildenkönigin dulden würden.

Bedarf für ein Delmenhorster Kulturzentrum gäbe es reichlich, da sind sich die BesetzerInnen sicher. Nur ganze 16 Mal seien die DLW-Säle im vergangenen Jahr genutzt worden, davon neun Mal für türkische Hochzeiten, argumentierte dagegen Stadtdirektor Bernhard Bramlage. Die Besetzung hält er deshalb für „politisch unangemessen“. Dies äußerte er am Sonntag im Delmenhorster Rathaus exklusiv für die dortige Lokalzeitung. Die taz mußte ebenso wie eine Delegation der BesetzerInnen und der grüne Ratsherr Hans -Dieter Gröne vor der Tür bleiben. „Ich finde es beschissen, daß der Stadtdirektor sich die Öffentlichkeit aussucht“, empörte sich Gröne über den Delmenhorster Feudalismus.

Während der Dauer der Besetzung soll in den DLW-Sälen schon ein bißchen von dem stattfinden, was in einem selbstverwalteten Kulturzentrum alltäglich wäre. Einige Delmenhorster Gruppen spielten bereits Samstag nacht auf.

Dirk Asendorpf

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