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Billig: Ablaßbriefe

■ Mittelalterliches Markttreiben auf der Domäne Dahlem

„Siehst Du, das Feuer kriegt Luft ... Das ist Dir nicht ganz geheuer, was?“ Die Oma sagt es zur Enkeltochter und die zieht sich kreischend zurück, als der Hammer das glühende Eisen trifft:

Der Schmied, der bärbeißige, läßt indes den Amboß singen und schmiedet das Eisen, solange es noch heiß ist. Dem breitschultrigen Mann steht der Schweiß auf der rotglänzenden Stirn. Die verwitterte Lederschürze schützt ihn vor den stiebenden Funken: „Schau, Mama, ein Nagel!“ Tatsächlich, oh staunt ihr Hörigen der Supermärkte, ein Nagel, er hat einen Nagel produziert. Die einwegpackungsverwöhnten Zuschauer sind fasziniert, erschreckt fast von der archaischen Kraft, die dieser Szene entströmt. Und zu recht - denn eigentlich schreiben wir ja das Jahr 1488... und befinden uns auf der Domäne Dahlem.

Inmitten eines bunten Treibens, das von Gauklern, Narren, Handwerkern, MarketenderInnen und Musikanten bestimmt wird. Die 150 Akteure von „Kramer Zunft und Kurtzweyl“ sind in der Stadt. Ihre Sprache ist anders (blumig bis derb), ihre Gewänder fremd (farbig und von unbekanntem Schnitt) und ihr Gebaren absonderlich (beleidigt wandte sich manch Besucher(in) ab). Sie ziehen bereits seit sieben Jahren durch die Lande und inszenieren mittelalterliche Märkte. Zum Staunen der Besucher.

Nein, nein - sie seien nicht auf den fahrenden Zug der „mittelalterlichen Konjunktur“, wie sie derzeit durch die Lande schleimt, aufgesprungen, sie seien auch nicht die Nutznießer Umberto Ecos und trügen auch nicht den „Namen der Rose“, versichert Ali Ben Juffi, Märchenerzähler und Gewürzhändler aus fernen Landen (eigentlich heißt er ja Walter, nun ja). Die Leute von „Kramer Zunft und Kurtzweyl“ befassen sich bereits seit über zehn Jahren mit dem Studium des Mittelalters - Wissenschaftler und Archive leisten bis heute eine wertvolle Hilfe dabei.

So ist auch nicht nur der „Ablaßbrief“, der den reuigen und entsprechend zahlungswilligen Sünder gegen ein Entgelt von fünf Talern für 1.000 Tage von teuflischer Verdammnis, Pestilenz und Aussatz, aber auch vor der todbringenden heidnischen Gefahr der Sarazenen und Osmanen schützt, authentisch, sondern auch das lauthalse Verkaufsgebaren der Mönche, die über den Platz ziehen und die mißratenen Kreaturen für Gottes Reich begeistern - gelegentlich gar vom Schanktisch aus.

Jetzt ist auch Ali an seinem Gewürzstand anzutreffen, wo er echten Safran, Haremsspeisen und bunten Pfeffer anbietet. Doch er ist nur ein Ausgestossener, abgedrängt in die „Heidenecke“ - dort und nur dort dürfen Nichtchristen ihre Exotika feilbieten. „Also wage Dich nicht vom Fleck, oh Edler, der Marktaufseher, der Dicke dort, der Schwarzgegürtete mit seiner Neunschwänzigen, wird Dir sonst zeigen, was ein rechtgläubiger Stadtbediensteter in Erfüllung seiner Pflicht vermag! Rauh die Sitten damals. Ihnen fehlte die angebliche Zier der Höflichkeit.

Detlef Berentzen

(edler Recke der Schreiberzunft)

Das Marktspektakel wird noch am kommenden Mittwoch (speziell für Schulklassen) sowie am darauffolgenden Wochenende zu erleben sein.

Jeweils von 11.00 bis 18.00 Uhr (bzw. „Zehn Augenblicke nach Sonnenuntergang“).

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