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Zeit schinden auf Strobls Kosten

Nach der ersten Erklärung der inhaftierten Ingrid Strobl zur Sache kann die Bundesanwaltschaft statt Beweisen nur noch Glaubwürdigkeitserwägungen vorbringen / Ingrid Strobls Erklärungen zum Weckerkauf werden nicht widerlegt / Gericht will die Inhaftierte zur Namensnennung zwingen  ■  Bonn Oliver Tolmein

Die schriftliche Begründung des Staatsschutzsenates des OLG Düsseldorf, die der Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen beschuldigte Ingrid Strobl, anders als Ulla Penselin, in Isolationshaft zu behalten, ist knapp gehalten, aber überaus bemerkenswert zu lesen. Sie markiert einen neuen Abschnitt im gesamten Verfahren.

Bisher hat die Bundesanwaltschaft vor allem mit dem nachweisbaren Kauf eines angeblich häufig von den Revolutionären Zellen für Anschläge verwendeten Weckers der Marke Emes-Sonochron Belastungsmaterial in der Hand, das in der Öffentlichkeit viele überzeugen konnte - zumal die Identität des gekauften Weckers mit dem bei dem RZ-Anschlag auf die Lufthansa AG benutzten als eindeutig nachweisbar behauptet wurde.

Zusätzlich verwiesen Bundesanwaltschaft und BKA darauf, daß die RZ die für ihre Anschläge benötigten Materialien stets selbst besorgten - wer von den RZ verwandtes Material beschafft, muß deswegen auch Mitglied sein, lautet der Umkehrschluß. Dieses Wissen will das BKA aus der Zeitschrift 'Revolutionärer Zorn‘ erworben haben. Ein Zitat mit dieser Aussage in den von der Bundesanwaltschaft zusammengestellten Akten aber gibt es nicht. Daß andererseits in der BRD aber bereits eine anerkanntermaßen nicht zu den RZ gehörende Frau verurteilt worden ist, weil sie ein Waffendepot für sie angelegt hat, wurde hoffnungsvoll als unbekannt vorausgesetzt.

Nach der anläßlich des Haftprüfungtermins erfolgten ausführlichen Erklärung Ingrid Strobls zu den Vorwürfen und dem von ihren AnwältInnen geführten Nachweis, daß in der Beweiskette, was die Identität von gekauftem und zum Anschlag benutztem Wecker angeht, entscheidende Glieder fehlen, bleibt als Beweismittel nichts. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Arend gesteht das implizit ein, indem er die Haftfortdauer nicht mit der Qualität der Beweismittel gegen Ingrid Strobl begründet, sondern damit, daß ihre Erklärung „in sich nicht nachvollziehbar (ist) und daher unglaubhaft scheint“. „Unglaubhaft“ heißt, denn hier muß gegen den Staatsschutzstrich gelesen werden: unwiderlegbar.

In ihrer vierzehn Seiten umfassenden ersten Aussage „zur Sache“ gibt Ingrid Strobl an, den Wecker im Auftrag eines außerhalb Kölns lebenden Freund, sie nennt ihn Mister X, gekauft zu haben: dieser wollte ausgerechnet diesen Weckertyp haben, weil das der kleinste und handlichste, trotzdem aber ausreichend laut genug piepende Reisewecker sei. Da er schwer zu bekommen sei - was sich aus der mittlerweile bekannten Tatsache, daß das BKA selbst den Wecker an ausgesuchte Geschäfte lieferte, erklärt - habe er sie gebeten, ihn in Köln für sie zu kaufen.

Daß diese Geschichte keineswegs „unglaubhaft“ ist, sondern dem Staatsschutz nur nicht ins Konzept paßt, weil Mister X richtiger Name nicht bekannt ist, belegt eine Äußerung des Vorsitzendes Richters der 5.Kammer des OLG Düsseldorf Arend.

Zu Beginn des Haftprüfungstermins begründete er, wieso er entgegen den rechtlichen Regeln Ingrid Strobl nicht zur Verhandlung vorgeladen hat: „Die einzige Frage, die ich hätte stellen wollen, will Frau Strobl nicht beantworten. Alles wäre viel einfacher; statt lange Schriftsätze zu wechseln, bräuchte Frau Strobl nur einen Satz zu sagen: Der X heißt so und so und wohnt da und da.“ Weil Ingrid Strobl diese einzige Frage nicht zu beantworten bereit ist, sitzt sie weiter in Haft - in Beugehaft.

„Meine Haltung“, stellt Strobl in ihrer Erklärung fest „hat nichts mit Märtyrertum zu tun. Zu sagen, für wen ich den Wecker gekauft habe würde nur bedeuten, noch einen Menschen dieser ziemlich brutalen Maschinerie auszuliefern, der ich unterworfen bin, und weitere Menschen, die Bekannten, Freundinnen, Freunde und KollegInnen dieser Personen dem Räderwerk von Ermittlung und Erfassung auszusetzen. Zur politischen Moral gehört für mich, daß man andere Menschen nicht der Verfolgung durch den Staat aussetzen kann. Daß man nicht zulassen kann, daß ein Einzelner von einem Apparat gejagt, zermürbt und womöglich zerstört wird. wenn ich diese Haltung aufgebe, bin ich nicht mehr ich. Und das wäre ein noch viel fundamentalerer Eingriff in mein Leben als das Gefängnis.“

Bleibt Ingrid Strobl bei dieser Haltung, stehen die Anklagevertreter und Ermittlungsbehörden bei der anstehenden Hauptverhandlung mit ziemlich leeren Händen da: von der Zusammenlegung der Verfahren gegen Strobl und Penselin und damit vom langersehnten großen Prozeß gegen „Revolutionäre Zellen“ und „Rote Zora“ kann seit Penselins Haftentlassung eh nicht mehr ausgegangen werden. Mit mehr oder weniger plausiblen Vermutungen die noch in ihrer Gewalt verbliebene Angeklagte unter Druck zu setzen, ist in einer öffentlichen Verhandlung aber auch schwieriger zu machen als in den nicht -öffentlichen Haftprüfungsterminen. Daß die Bundesanwaltschaft sich überhaupt auf dieses Glatteis wagt und der Staatsschutzsenat ihr - zumindest einen Teil der Wegstrecke - folgt, hat vor allem politische Gründe: nachdem die Anklage gegen Ulla Penselin mit deren ersten Erklärung zur Sache wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist, wäre mit einer fast gleichzeitigen Entlassung Strobls die noch vor wenigen Wochen als „großer Schlag“ gegen die RZ gefeierte Winteraktion des BKA ein spektakulärer Fehlschlag. Mit der Entlassung von Ulla Penselin verbunden ist nämlich das Eingeständnis, daß mehrere Treffen keineswegs „konspirativ“ und auch keine Zusammenkünfte der „Roten Zora“, sondern Redaktionssitzungen der Zeitung „e.colibri“ waren. Bleibt als einziges Indiz der Bundesanwaltschaft gegen Ingrid Strobl, aber auch gegen die vier Personen, nach denen noch gefahndet wird, der Kauf bzw. Besitz eines Weckers. Eine Haftentlassung Ingrid Strobls brächte die Bundesanwaltschaft auch für ihr rigides Vorgehen im Dezember '87 in erheblichen Legitimationszwang. So bleibt ihr Zeit, die Aktion und deren Dimension herunterzuspielen. Die Zeit, den Mißerfolg politisch in Grenzen zu halten, wird auf Kosten von Ingrid Strobl geschunden.

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