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Zwist im Westen um Chemie-Waffen-Verbot

Auch westliche Diplomaten kritisieren mittlerweile die Blockadepolitik der USA in den Genfer Verhandlungen um ein weltweites Chemie-Waffen-Verbot / Ranghöchster Abrüstungsbotschafter Reagans, Max Kampelman: C-Waffen-Verbot „nicht verifizierbar“  ■  Aus Genf Andreas Zumach

Die USA sind entgegen allen Erklärungen der Reagan -Administration und ihren Zusicherungen insbesondere an die Adresse der Bundesregierung nicht an einem weltweiten Chemie -Waffen-Verbot interessiert. Mit immer neuen Bedingungen und Vorbehalten blockieren sie die Verhandlungen in der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz und hintertreiben einen Vertragsabschluß. Dies äußerten jetzt auch westliche Diplomaten in Genf, die sich bislang mit Kritik an Washington zurückgehalten haben.

Jüngstes Indiz für die tatsächliche Haltung Washingtons sind Äußerungen des ranghöchsten und dienstältesten Abrüstungsbotschafters der Reagan-Administration, Max Kampelman, ehemals US-Delegationschef bei den INF- und jetzt bei den START-Verhandlungen mit der UdSSR. In einer streng vertraulichen Sitzung der „westlichen Gruppe“ innerhalb der 40-Staaten-Abrüstungskonferenz erklärte er am 30.August unter anderem, ein C-Waffen-Verbot sei „nicht verifizierbar“. Dies berichten übereinstimmend mehrere Sitzungsteilnehmer. In der „westlichen Gruppe“ kommen zwecks Abstimmung gemeinsamer Positionen regelmäßig die Botschafter bei der Abrüstungskonferenz der Nato-Staaten sowie Australiens und Japans zusammen. „Die Amerikaner spielen mit uns“, kritisierte nach der Kampelman-Äußerung einer der westlichen Botschafter „die Blockadepolitik der USA“. In ihren öffentlichen Erklärungen äußerten Washingtons Vertreter „zwar immer ihr Interesse an den Genfer Verhandlungen, nicht aber am Abschluß eines Vertrags“. „Auf diese Weise“, so der Botschafter, „verhandeln wir bis zum Sankt-Nimmerleinstag ohne Ergebnis.“

Nach Überzeugung der meisten westlichen Botschafter und ihrer Experten könnte ein C-Waffen-Vertrag „bei vorhandenem Willen aller Beteiligten in elf bis zwölf Monaten fertiggestellt werden“. Doch die USA mauere und lasse Fortschritte „nur in prozeduralen, nicht aber wichtigen politischen Fragen zu“. Derartige Kritik war bislang nur von osteuropäischen Verhandlungsteilnehmern zu hören. Sie beklagten sich schon im Januar über das „destruktive Verhalten der US-Delegation“. Westliche Diplomaten hatten Kritik an Washington bisher vermieden - zum Teil aus Bündnisraison, zum Teil in der Hoffnung, die USA doch noch zu einer konstruktiveren Haltung bewegen zu können. Das gilt vor allem für die bundesdeutsche Delegation unter Botschafter von Stülpnagel, der von Verhandlungsbeobachtern wie auch von den osteuropäischen Delegationen ernsthaftes Interesse an einem baldigen Vertragsabschluß bescheinigt wird. Vor diesem Hintergrund wies Bundesaußenminister Genscher, der einen C-Waffen-Vertrag zunächst bis Ende 1987 und dann für 1988 in Aussicht gestellt hatte, bis in die jüngste Zeit Zweifel an der US-Haltung immer wieder zurück. Diese waren unter anderem aufgetaucht, als eine Gruppe prominenter US-Militärpolitiker in ihrem Vorschlag für eine westliche „Strategie der abgestuften Abschreckung“ bereits im Februar ein Chemie-Waffen-Verbot für „nicht verifizierbar“ erklärten. Mitautor Fred Ikle, damals noch Pentagon-Staatssekretär, wiederholte diese Aussage in einem taz-Interview (s. taz vom 8.2.'88). Kanzler Kohl erklärte dann nach seiner Washington-Reise Mitte Februar, alle „Irritationen“ seien ausgeräumt und die USA hielten am Ziel eines Chemie-Waffen-Verbotes fest.

Genfer Diplomaten weisen jetzt darauf hin, daß diese und andere Klarstellungen in punkto C-Waffen aus Washington niemals von höchster Stelle, also von Präsident Reagan oder dem für die Rüstungskontrolle verantwortlichen Außenminister Shultz, erfolgt seien. Auch Kohl konnte schwarz auf weiß nur die Pressekonferenz-Äußerungen der Unterstaatssekretärin Suzanne Rodgeway vorweisen. Daß die Lage in Bonn intern seit geraumer Zeit sehr viel skeptischer eingeschätzt wird als die öffentlichen Verlautbarungen der Bundesregierung weismachen wollen, geht aus einem bereits im März verfaßten Arbeitspapier des Rüstungsexperten Joachim Krause über „Stand und Perspektiven der Verhandlungen über die Abrüstung chemischer Waffen“ hervor. Krause ist Mitarbeiter der eher regierungsnahen Ebenhausener „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und seit Anfang 1988 als Berater Mitglied der Bonner Delegation bei den Genfer C-Waffen-Verhandlungen. Laut Krause wurde „das Thema C-Waffen-Abrüstung seit Ende 1987 zum Gegenstand innerwestlicher Meinungsverschiedenheiten, insbesondere zwischen der Bundesrepublik auf der einen und Frankreich und den USA auf der anderen Seite“.

Besonders problematisch habe sich die Aufnahme der Binärwaffenproduktion durch die USA im Dezember 1987 ausgewirkt - wenige Monate nach dem „Verhandlungsdurchbruch“ im August, als die Sowjetunion auf sämtliche Inspektions und Verifikationsforderungen der USA einging. Krause: „Eine paradoxe Situation.“ Washington und Paris - das auch nach Vertragsabschluß eine „Sicherheitsreserve“ von 2.000 Tonnen C-Waffen beibehalten will - stellten durch „neue Vorbehalte und Bedingungen das Ziel der Abrüstung chemischer Waffen als solches in Frage“. Die USA und Frankreich ließen Fortschritte bei den C-Waffen-Verhandlungen möglicherweise erst nach einer Einigung mit der BRD über die „Modernisierung“ der nuklearen Kurzstreckenwaffen zu, spekuliert Krause. „Ein Scheitern der Gespräche an amerikanischem und französischem Widerstand“, so Krauses Prognose, „hätte vermutlich nachhaltige allianz- und innenpolitische Auswirkungen.“

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