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Mauscheln und Kungeln mit Justitia

Juristen diskutierten in Berlin über informelle Absprachen in Strafverfahren / 20 Prozent der Urteile in Strafprozessen werden hinter den Kulissen ausgehandelt / Richter dealen nicht mit jedem / Professor fordert gesetzliche Regelung  ■  Aus Berlin Plutonia Plarre

Monatelang hatte sich der Prozeß gegen den Berliner Baulöwen Dietrich Garski, der 112 Millionen Mark für ein Bauprojekt in die arabische Wüste gesetzt hatte und deshalb wegen schweren Betruges vor Gericht stand, im Jahr 1985 vor einer Berliner Wirtschaftsstrafkammer dahingeschleppt. Weil Garski die Vorwürfe bestritt, versuchte das Gericht mühsam, Zeuge um Zeuge und Blatt um Blatt, die Vorgänge in Garskis Unternehmen „Bautechnik“ aufzuklären. Dann kam die unerwartete Wende. Garski legte plötzlich ein „Teilgeständnis“ ab, und der Prozeß ging kurz darauf mit einem Urteil von drei Jahren und neun Monaten, das sofort rechtskräftig wurde, jäh zu Ende. Ein Großteil der Anklagepunkte war offenbar im Gegenzug gegen das „Teilgeständnis“ Garskis eingestellt worden. Die verwunderte Öffentlichkeit erfuhr über die Hintergründe lediglich, daß Garski zuvor den Verteidiger gewechselt hatte.

Über das Dealen und Kungeln der Juristen hinter den Kulissen, oder - etwas vornehmer ausgedrückt - „über die Möglichkeiten und Grenzen der Verständigung im Strafverfahren“ diskutierten am vergangenen Wochenende auf einer Veranstaltung der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger der Vorsitzende Richter der Garski -Wirtschaftsstrafkammer, Hans Georg Bräutigam, der Rechtsanwalt Rüdiger Portius und der Freiburger Professor für Strafrecht Bernd Schünemann. Schünemann hat 1986/87 in einer bundesweiten „Repräsentativumfrage“ unter 1.600 Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern herausgefunden, daß die informelle Absprache - der Deal um ein vermeintlich mildes Urteil gegen ein Geständnis des Angeklagten - ein eigenständiger, vom Gesetz zwar nicht vorgesehener, aber mittlerweile weitverbreiteter „Erledigungstypus“ in Strafprozessen ist. So werden 20 Prozent der Strafverfahren auf diese Weise erledigt. Bei Wirtschaftsstrafverfahren, in denen der Deal ein beliebter Hebel zur Abkürzung der komplizierten Beweisaufnahme ist, sind es sogar 25 Prozent. Schünemann bezeichnete diese Praxis als illegal, denn sie sei von der Strafprozeßordnung nicht gedeckt. Weil er sie jedoch nicht „per se für illegitim“ hält, forderte er, die „informelle Absprache“ gesetzlich zu regeln.

Ganz anderer Meinung war da Bräutigam, der statt vom „Dealen, Mauscheln und Kuhhandel“ lieber von einem „Gentleman-agreement“ der Prozeßbeteiligten spricht. Bräutigam hält die Absprache hinter den Kulissen keineswegs für regelungsbedürftig, gab auf dem Podium aber frank und frei zu, daß ein solcher Deal nicht in jedem Fall und mit jedem Anwalt gemacht werden könne: „Das hängt im wesentlichen von der Persönlichkeit, Fairneß, Gesinnung und dem Stil der Beteiligten ab.“ Daß damit all die Angeklagten, die sich zufällig keinen derart ausgestatteten „white collar„-Anwalt leisten können, hinten runterfallen, fand Bräutigam nicht ungerecht: Das sei ein allgemeines „Lebensrisiko“, das ein jeder eben zu tragen habe.

Rechtsanwalt Portius von der Strafverteidiger-Vereinigung hielt die „informelle Absprache“ gleichfalls für „legitim und sinnvoll“. Er warnte jedoch davor, in jeden Fall und um jeden Preis zu dealen, weil das bessere Ergebnis für den Angeklagten oftmals nur durch eine umfassenden Beweisaufnahme herauszuholen sei. Auch für Portius ist ein Vertrauensverhältnis zwischen den Juristen absolute Voraussetzung. „Dealen kann man nicht mit jedem Staatsanwalt und Richter.“

Ganz „erschreckt“ von der Aussage Bräutigams zeigte sich der Vorsitzende Richter einer Schwurgerichtskammer (zuständig für Mord und Totschlag), der die Diskussion zusammen mit vielen Anwälten und wenigen Staatsanwälten im Auditorium verfolgt hatte. Der Richter, der es „unmöglich“ fand, für ein Geständnis eine konkrete Strafzusage zu machen, kritisierte auch die Bräutigamsche Selektion heftig: „Das verstößt gegen den Grundsatz, vor dem Gesetz sind alle gleich.“

Doch Professor Schünemann blieb bei seiner Forderung nach gesetzlicher Regelung. Er sei bei seiner Untersuchung immer wieder auf „Opfer“ informeller Absprachen getroffen: ehemalige Angeklagte, deren Verteidiger sich mit den Gerichten auf „angemessene“ Strafen „geeinigt“ und diese ihren Mandaten als „bestes erreichbares“ Ergebnis verkauft hätten. Viele Angeklagte, die an den „Verhandlungen“ hinter den Kulissen regelmäßig nicht beteiligt waren, behielten zeitlebens den faden Beigeschmack, „Opfer“ eines Deals geworden zu sein. Im Gegensatz zu Wirtschafts- und Umweltkriminellen, für die durch den Deal „enorme, echte Rabatte“ heraussprängen, so Schünemann, werde den Angeklagten in anderen Bereichen in der Regel nur „das qua Absprache konzediert, was in der Verhandlung auch herausgekommen wäre“.

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