: Die DDR im Quartier Latin
■ Das einzige im westlichen Ausland betriebene DDR-Kulturinstitut gibt's in Paris
Sabine Seifert
Als ich damals“ ist unfein am Satzanfang. Das war erstes Gebot der Aufsatzkunde in der Grundschule. Also wurde „als ich“ zur Macke. Mir fiel absolut keine bessere Darstellungsweise dieses von unsinnigen Geboten gefangengenommenen Lebens ein. Gilt diese ungeschriebene Regel noch immer und ebenso in der DDR? Stimmen sich die Sprachwissenschaftler hüben und drüben ab und treffen Verabredungen über Regelungen im verflixten innerdeutschen Sprachverkehr?
Als ich vor kurzem beim DDR-Kulturinstitut in Paris anrief und neben einem Termin auch um Pressematerial bat, hieß es: „So kurz vor der Sommerpause haben wir keinen Versand mehr.“ In jedem verstaubten Amtszimmer in der BRD könnte ich auf genauso eine bürokratische und ebenso wenig geschäftsmäßige Antwort stoßen. Nur der Gebrauch eines unverblümt aus der Arbeitswelt und Zeiten stolzer Industrienorm(ierung) stammenden Wortes wie „Versand“ ist seltener, ein wenig fremd geworden. Prolo ist immer weniger gefragt in der bundesdeutschen Verwaltungssphäre.
Diese Sorge hat man in der DDR auch in der Pariser DDR -Kulturvertretung nicht. Man nimmt sich heraus, nach andern als nach kapitalistisch-wettbewerbsorientiertern Regeln zu funktionieren. Das ist anstößig; um so mehr, als das meist altmodisch und außer Konkurrenz wirkt.
Das Pariser DDR-Kulturinstitut sieht allerdiungs keineswegs schäbig aus, und „als der häßlichere Deutsche gilt immer noch der Bayer und nicht der Preuße“, sagt schlagfertig sein derzeit amtierender Direktor, Herbert Hocke, als ich nach französischen Vorurteilen frage. Das von ihm zur Zeit geleitete Haus in Paris, dessen Direktor seit der Eröffnung im Jahr 1984 bereits mehr als einmal gewechselt hat, ist neben Stockholm das einzig offiziell im westlichen Ausland betriebene DDR-Kulturinstitut. Angemietet wurde zu diesen Zwecken ein großbürgerliches Palais auf dem Boulevard St.Germain im Quartier Latin. Erbaut hat es Charles Garnier, Architekt der Pariser Oper. Mit dem feudal-bürgerlichen Erbe hat man ohnehin keine Schwierigkeiten. Die Sommerausstellung präsentierte den Schloßgarten von Wörlitz als nach Reformideen Rousseaus gestalteten Landschaftspark. Anbiederung an die Geschichte, Anbiederung bei den Franzosen - oder gemeinsame Berührungspunkte?
Frankreich hat erst 1973 diplomatische Beziehungen zur DDR aufgenommen, der deutsch-deutschen Annäherung steht man bis heute eher skeptisch gegenüber. Die Bundesrepublik gilt als der natürliche Bündnispartner für Frankreich, von der militärischen Zusammenarbeit bis zum Sprachkurs, der im übrigen im DDR-Institut billiger zu haben ist als im entsprechenden Goetheinstitut der BRD. Die Anzahl der Plätze in Sprachkursen auf dem Boulevard St.Germain ist allerdings aus Raummangel beschränkt.
Für das DDR-Kulturinstitut sind die Sprachkurse die einzige Einnahmequelle, alle anderen Veranstaltungen müssen gebührenfrei sein, eine Bestimmung, die für das Goethe -Institut nicht gilt. Die Zusammenarbeit mit französischen Institutionen klappe prächtig, meint der Direktor vom Goethe -Institut, Georg Lechner. Sie stehe erst am Anfang, sagt trocken Herbert Hocke vom DDR-Kulturinstitut.
Welcher seiner französischen Gesprächspartner mag begreifen, was für eine Herausforderung eine eigene DDR -Kulturvertretung in der Bundesrepublik darstellen würde? Stellen Sie sich vor - wie hier in Paris: alles weiß und neu gekalkt, Parkettfußboden, die breiten geschwungenen Treppen hinauf, an Statuen vorbei, ein richtig preußisch-staatlich verwalteter Kulturtempel. Die Ausbeute: Im Lesesaal liegt die gesamte Presselandschaft der DDR mit ca. 20 Tages- und Wochenzeitungen, von 'Der junge Pionier‘ bis zu 'Der Morgen‘, feinsäuberlich ausgebreitet. 'Form und Sinn‘, die einst wagemutige Literaturzeitschrift, gibt's auch.
Die Bibliothek ( 7.000 Bücher gegenüber 35.000 beim Goethe ) enthält nur in der DDR erschienene Bücher, nicht etwa Stefan Heyms in der BRD publizierte Romane. Lesungen hält er daher auch woanders ab, z.B. in der auf deutschsprachige Literatur spezialisierten kleinen Buchhandlung „Le Roi de Aulnes“ (Der Erlkönig). Deren Inhaber Nicole Bary bedauert allerdings, daß DDR-Autoren in Frankreich meist unter dem Etikett „junge kritische Autoren“ gelesen würden. Das gilt eher dem eigenen Antikommunismus als der DDR.
Die Atmosphäre im DDR-Institut ist von jenem Revolutionsspießertum, wie es sich sofort in einem jedem der weltweitverbreiteten Altkommunisten-Altkämpfer-Lokale auszubreiten scheint. Schamlos kleinbürgerlich, unverkennbar gleich, und darum doch hoch anzurechnen. Kein falsches Anpassungsstrampeln auf aalglattem Pariser Parkett, wo ein doch eher folkloristisch ausgerichtetes Programm lanciert wird: eine Ausstellung über die sorbische Minderheit in der DDR hat es im letzten Jahr gegeben, viele DEFA-Filmabende, so manchen Kammermusikabend mit Bach, und Chanson-Programme mit Brecht. Ein reales Bild der DDR wolle man zeichnen, meint Herbert Hocke, amtierender Direktor, über den Kulturauftrag seines Hauses. Das kommt hin.
„Wir wollen keine Konkurrenz zum Goethe-Institut“, sagt Hocke sofort. „Wir maßen uns nicht an, für die BRD zu sprechen, wir sprechen für uns.“ Sein Kollege Georg Lechner vom Goethe-Institut, dessen Bibliothek durchaus gesamtdeutsch ausgestattet ist, will dagegen ganz auf Selbstdarstellung der BRD verzichten: „Wir suchen den Dialaog mit den französischen Partnern“.
Der floriert, nur eine Zusammenarbeit zwischen BRD- und DDR -Kulturinstitut ist bisher nicht zustande gekommen. „Leider nicht“, sagt Georg Lechner, Vorstöße von bundesdeutscher Seite oder gar individuelle französische Initiative seien von DDR-Seiten abgeblockt worden. So die West-Version, während Ost sagt, die Franzosen sähen das nicht gerne. Was zumindest ein geschicktes Argument ist.
„Wir machen es uns schwierig mit unseren Themen“, sagt vollmundig und entschieden Georg Lechner. Sein Institut kann aus bewährten etablierten Strukturen und einem ungleich höheren Geldtopf schöpfen. Die Einrichtungen des Goethe -Institutes im Ausland kämpfen allerdings intern, bei der Bundesregierung, um Akzeptanz, die sie im Ausland oder jedenfalls in Frankreich ohne Zweifel haben. Engarierte, immer wiederkehrende Themen sind: Frauen, Öko und Faschismus. Auch hier: ein reales Bild der BRD. Und irgendwie komplementär treffen sich diesen Sommer die Ausstellungen von DDR- und BRD-Institut: Landschaftspark Wörlitz beim einen, „Die Kunst der Natur“ mit Landschaftsskulpturen im Parc de la Villette beim anderen. Es grünt der Zeitgeist auf beiden Seiten der Grenze, wenn er auch verschiedene Blüten trägt. Für Franzosen, die es keineswegs mit Ökologie und Wald, dafür aber mit schön gestylten Parks haben, ist die Ausstellung im DDR -Kulturinstitut mit alten Stichen der Schloßanlage, Ausstellungsstücken aus der dortigen Sammlung und Fotos vom heutigen Zustand sicher annehmbarer als die zu gleicher Zeit gezeigte Ausstellung „Kannibalen“ im Goethe-Institut. Die Düsseldorfer Künstlerin Rose-Marie Nöcker hat dafür Tierhäute abgezogen und in Rahmen gespannt. Aber dennoch, wohl kaum einer der französischen Besucher der Wörlitz -Ausstellung auf dem Boulevard St.Germain wird sich deshalb zu einer Schlösser-Rundreise in der DDR entschließen.
Als ich einmal in der französischen Provinz Briefmarken für eine der obligaten Ferien-Postkarten an die Verwandtschaft in der DDR („Wie Ihr aber auch rumkommt!“) verlangte, wiegte der Tabac-Händler mitleidig den Kopf. Er war wohl der Meinung, die gehörten alle eingesperrt, die noch nicht eingesperrt sind. Sicher kannte er die DDR nur vom Hörensagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen