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St.-Jürgen versilbert

■ Röntgenfilme vagabundierten durch die Bundesrepublik / Rückgewonnenes Silber kam in die schwarze bzw. in die Kaffeekasse / Auch die Handwerker bekamen was ab

Welche Patientin ahnt schon, daß sich bei ihren Röntgenaufnahmen diverse Krankenhaus-MitarbeiterInnen diebisch freuen, weil hinterrücks kostbares Silber anfällt. Wer diese Zusammenhänge zwischen „Patientenmaterial“, und „Silberrückgewinnung“ noch nicht kannte, konnte sich gestern beim parlamentarischen Untersuchungsausschuß „St.-Jürgen -Straße“ informieren.

Im Zeitraum 1972 bis 1981 ging es dabei im Silberhandel der Klinik noch relativ geregelt zu: Die holländische Firma Van Vlodrop montierte ihre „Entsilberungsgeräte“ in der Röntgenabteilung, gewann das Rohsilber aus den alten Röntgenfilmen und den Fixierbädern, ließ es zu Feinsilberbarren verschmelzen und sandte der Klinikverwaltung Verrechnungsschecks ('die eventuell wieder in einer grauen Kasse verschwanden, über die Ex -Verwaltungsdirektor Galla allein verfügte, aber das ist ein anderes Thema.)

Mitte 1981, mitten in einer spekulativen Silberhausse, erlebte der Techniker der holländischen Firma allerdings „einen Fall, den

hatten wir noch nicht“: Sämtliche Entsilberungs-Geräte in der „St.-Jürgen-Straße“ waren ausgeräubert. Silber im Gegenwert von mehr als 120.000 Mark verschwunden. Die Klinikleitung erklärte lakonisch, sie habe der Konkurrenzfirma „Alphacom“ den Vorrang gegeben.

Der Firmen-Techniker, der die einzigartige Ausplünderung entdeckt hatte, erlebte noch weitere Überraschungen: „Ich habe gesehen, daß Röntgenfilme aus der St.-Jürgen-Straße als Ware durch ganz Deutschland gehen - und zwar tonnenweise.“ Die Röntgenfilme kämen nach Hamburg zum Mikroverfilmen, von dort würden sie dann mitsamt den entsprechenden PatientInnen -Daten im ganzen Bundesgebiet Silber-Recycling-Firmen angeboten.

Von dem Klinik-Mitarbeiter Rolf-Dieter Bretschneider erfuhr der Ausschuß zudem, daß das Krankenhaus bei der Firma „Alphacom“ ein Depot, ein „Silberkonto“ unterhielt, das als graue Kasse diente, um Mikroverfilmungen und Geräteeinkäufe zu finanzieren. Von dem „Silbergeld“ bekam auch die Firma des Ehe

paars Galla, „System-Service“, ihr Scherflein ein: DM 86.000.

Zur Sprache kam gestern auch, daß eine große Klinik -Abteilung mit 120 MitarbeiterInnen deftig von der „Silberrückgewinnung“ profitierte. Eine mittlerweile verrentete Mitarbeiterin, Frau F., war dafür verantwortlich, Röntgenfilme zu sammeln und von einem Firmentechniker Bares zu kassieren. Sie steigerte die Lieferungen im Zuge der Silberhausse und konnte schließlich 500-1.000 Mark monatlich in die Kaffee-Kasse der Abteilung geben. Immer mehr „überalterte“, „vorbelichtete“, „verwackelte“ Filme tauchten auf. Feste wurden gefeiert, Betriebsausflüge organisiert und „alle waren sehr happy“ - vom Pförtner bis zu den Handwerkern.

Weniger redselig als die silbersachverständige Renterin F. und die Herren aus der Silber-Branche zeigten sich Reinhard Tonke, Ex-Stellvertreter des Klinik-Verwaltungsdirektors und der Sachbearbeiter R.-D. Bretschneider. Beide verweigerten die Aussage: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

B.D.

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