: DER MYTHOS DER FREMDSPRACHE
■ Brasilianische „Seitenblicke“ auf Greta Garbo
Die Garbo jedenfalls wäre keinesfalls so berühmt geworden, hätte sie immer nur portugiesisch gesprochen. Das aus Sao Paulo stammende und weit gereiste Ensemble „Arte livre do Brasil“ versucht es dennoch, in seiner Muttersprache zu Ruhm zu gelangen. Und das mit einem Stück über eben jene Greta Garbo, an deren Persönlichkeit sie noch ebenso unbekannte wie interessante Einzelheiten herausgefunden haben wollen. Faszinierend soll sie sein und sexuell vielschichtig schillernd, und um das mitzuerleben, so versprach es das Programmheft, brauche man auch keine weiteren Sprachkenntnisse und schon gar keine portugiesischen. Das leuchtet ein, denn Brasilien - das ist Karneval in Rio, den versteht man auch ohne Worte. Außerdem ist Brasilien ein tiefkatholisches Land, was eine überschwelgende Bilderpracht verheißen sollte.
Aber es kommt alles ganz anders: Fünf Minuten Garbo-Glamour zu Anfang der Vorstellung, und dann geht die Reise ins Innenleben der Garbo, die gar nicht die Garbo ist, sondern nur ein Nachtclub-Schauspieler, der die Garbo spielt. Gustafson heißt er, wenn er nicht Greta spielt, und als solcher liebt er Jane, die ihm die Texte schreibt. Und sie ihn. Und er sie/ihn: Jorge, ein spanischer Bürgerkriegsveteran, liebt die Garbo, aber nicht Gustafson. Wir haben es also mit einer Dreiecksgeschichte zu tun, in der der Mann mal wieder Frau sein darf, das ist immerhin ein bißchen Karneval. Der Haken bei der Geschichte ist nur, daß die Truppe auch einen politischen Anspruch hat, sich in Brasilien nie von der Regierung reinreden ließ, und sich das auch in ihren Stücken niederschlagen soll. Denn die Garbo war auch politisch, war gegen Franco und Hitler, was Metro Goldwyn Meyer überhaupt nicht paßte.
Das alles will erklärt sein, und das tun sie verbal: Es wird geredet und geredet, selbstverständlich immer auf portugiesisch, was ich nicht verstehe. Dennoch bot sich mir so die Chance festzustellen, daß das Portugiesische mehr Ähnlichkeiten mit dem Italienischen - das kann ich - hat, als ich vorher gedacht hatte. Leider aber nicht so viele, daß ich dem Geschehen hätte folgen können. So verpufft alle Weisheit im Fremdsprachigen. Was bleibt: sie spielen sehr professionell, nicht revolutionär, sondern eher in bester Stadt- und Staatstheatermanier. Und einer zieht sich aus, will mit Greta schlafen, aber nicht mit Gustafson: das alte Leid der Männer und der Identitäten. Das habe selbst ich verstanden. Aber mehr auch nicht: ihr Anliegen, die totgeschwiegenen Seiten der Garbo darzustellen, kehren sie ins genaue Gegenteil: hier werden sie zur Abwechslung mal totgeredet - und alles auf portugiesisch. Ich sollte es lernen.
Lutz Ehrlich
„Olhares de Perfil“ noch bis zum 17.9. jeden Abend um 20.30 Uhr im Cafe Schalotte.
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