piwik no script img

HEITERE HÄNDE MENSCHLICHER MENSCHEN

■ „Tartuffe“ im Renaissance-Theater

Um es kurz zu machen: Es war ein heiterer Abend, letzten Freitag abend bei der Premiere von Molieres „Tartuffe“ unter der Regie von Peter Lotschak und mit keinem geringerem als Harald Juhnke in der Titelrolle im Renaissance-Theater. Das unzweifelhafte menschliche Gefühl nahm stets zuerst Platz in einer jungen Besucherin, deren Erscheinung ansonsten eher ohne Auffälligkeiten war und verbreitete sich von dort sternenförmig über die vielen anderen Menschen, die auch gekommen waren und die ihr fröhliches Gekicher bereitwillig und gern entgegennahmen, um es in derselben Form weiterzutragen, in hustendes Lächeln zu verwandeln oder zu lautem Gelächter zu erhöhen. Nur wenige Menschen der vollzählig Erschienenen waren in der Lage, sich der feinen Kommunikationsstruktur zu entziehen, die in anderen als in Kunstforen nicht nur Herz und Zwerchfell erschüttert, sondern sich des gesamten menschlichen Körpers bedient, um diesen in abwechslungsreicher Folge sich erheben und wieder setzen zu lassen. Der „Olympiawelle“ ist die kunstseidene Bestuhlung des Renaissance-Theaters diesmal noch einmal entgangen.

In der Tat war der Abend zu komisch. Kaum hatten sich die Darsteller der Geschichte auf der Plattform in festlichen, roten, weichen Kniebundhosen oder andersfarbigen und steif abstehenden Röcken umeinander gesammelt, schickten sie sich nicht nur an, in Versen zu reden, sondern versuchten auch den Worten, die allemal bekannt sind und ohnehin nur Schall und Rauch, mit Hilfe ihres eindrucksvollen Körperspiels die rechte Bedeutsamkeit zu verleihen. Vier bis fünf Stühle und eine wüstensandfarbige ganzheitliche Fassade einer stadtbekannten Wohnungskollektion konnten dabei kaum ablenken von den schönen Möglichkeiten des vielfältigen Einsatzes der menschlichen Hände. Eine davon z.B. zur rechten Zeit auf die Höhe des unbelasteten männlichen Beckenknochens zu plazieren, um Menschengeplapper in den Stand von Überzeugungsreden zu heben, war einer der unkompliziertesten und oft wiederholten Einfälle, die die Menschen auf einfache Art stets amüsieren. Das Schlagen mit ebenfalls nur einer, diesmal flachen Hand vor die uneinsichtige menschliche Stirn oder das nur mäßig verhüllte weibliche Dekollete, war so ausgeklügelt eingesetzt, daß es vielen Menschen viel zu wenige Momente der wiederholten Freude brachte. Die mit Abstand und zu einem Dreieck gestaltete Form der aneinandergelegten Fingerspitzen beider Hände verstanden die Zuschauenden sehr schnell als Zeichen des nachdenklichen Abwägens zweifelhafter menschlicher Qualitäten zu deuten, was sie zu einem nachdenklichen Nicken ihrer Frisuren mit Köpfen veranlaßte. Unzweifelhafter Höhepunkt körperlicher Ausdrucksfähigkeit waren das gänzliche Verschwinden desselben hinter Türen, unter Tischdecken oder Stühlen, genauso das bewußt herbeigeführte Zwinkern mit dem linken oder rechten Augenlid, um jeweils tragische Komik oder rauhe Freude mit Menschenkörpern zu füllen. Mit weiterem Gelächter antworten die Erkennenden zum ihres Verstehens.

Der Text ist alt und schön und doch von Bestand, was der führende Erzeuger des allgemeingültigen und fortdauernden Menschseins klar und doch einfach zum Ausdruck brachte, indem er einen gesundeten Trunkenbold vor ein Glas verdünnten Rotweins setzte, um ihn daran riechen zu lassen. Das Verstehen machte sich als lautes Schmunzeln breit, und als die Möglichkeiten von sprechenden Händen und beredten Schritten erschöpfend vorgeführt waren, dankten es die Vorgeführten mit langanhaltendem Aneinanderknallen beider falcher Hände. Noch zu mancher schlug sich beim Verlassen der Unterhaltungsstätte mit einer Hand gegen den Kopf, um angesichts wiederholter handfester Bedrohungen ähnlicher Art sich und anderen Warmen zu verkünden: Das kann ja heiter werden!

reg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen