: Von Strahlung nichts gewußt
■ Der Sohn eines betroffenen Bergarbeiters schreibt:
„Mit 20 hat mein Vater bei der Wismut angefangen. Das war 1950. Damals wurde noch trocken gebohrt. In Schlamm ist er eingefahren. Gelockt hat das Geld und die größeren Lebensmittelrationen. Er kam 1945 mit seiner Mutter aus Schlesien. War'n arme Leute. Gewußt hat er nichts von der Strahlungsgefahr. Woher auch. Die's wußten, haben den Arbeitern nichts gesagt. Von Strahlung hat mein Vater nie was erzählt. Pechblendesteinchen standen bei uns auf der Fernsehtruhe. Hat schön geglitzert. 1963 wurde bei meinem Vater 30 Prozent Silikose festgestellt. Wäre er noch zwei Jahre länger unter Tage geblieben, hätte er die Bergmannsrente bekommen. Jetzt kamen ihm die Ärzte mit Arbeitsschutz und 150Mark pro Monat, so 'ne Art Entschädigung. Alle zwei Jahre fuhr er zur Kur. Jedesmal kam er mit höheren Silikosewerten nach Hause. Immer öfter lag er dann im Krankenhaus. Er hat so viele Kumpel, die am Anfang mit eingefahren sind, dort getroffen. Die starben wie die Fliegen. Keiner wurde älter als 55. Mit 54 mußte Vater in die Lungenheilstätte eingewiesen werden. Dort haben sie Gewebsproben entnommen, zwei, drei Mal. Das muß wahnsinnig schmerzhaft gewesen sein. Von Strahlung und Krebs haben die Ärzte nichts gesagt, auch nicht zu meiner Mutter. Verschwartungen der Silikose, hat's geheißen. Dann radiologische Klinik - 50 Kobaltbestrahlungen, Fieber, Massen von Medikamenten. Ich kann nicht vergessen, wie er allein und ratlos und ohne Hoffnung in dem kahlen Krankenzimmer saß. Er hat nur noch mit dem Kopf geschüttelt. Wenigstens das Ende wollte er selbst bestimmen. Er hat zu viele Kumpel verrecken sehen. Mein Vater hat sich aus dem Fenster gestürzt, zehnter Stock. Er hat nichts gewußt, nichts von Strahlung. Zum Schluß hat dann ein Arzt zu meiner Mutter gesagt, daß es Lungenkrebs war.“
(Aus einem Brief an den Verfasser der Studie)
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