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Glitzersteine für den Frieden

Durch eine kirchliche Studie wird in der DDR erstmals das Schweigen um den Uranbergbau gebrochen, der den Stoff für die sowjetische Atombombe lieferte Bergarbeiter- und Abenteuerromantik für den ideologischen Überbau / Die Strahlengefahren für Mensch und Umwelt werden noch heute tabuisiert  ■  Von Martha Sandrock

„Schlafe Söhnchen, schlafe ein / Kumpelkind, das darf nicht schrei'n / Vater schürft im Berge / Trifft er dort die Siebenzwerge / Schenken sie dir Glitzerstein‘ / Schlafe, Söhnchen, schlafe ein.“ Mit solch rührseli ger Lyrik bedachte 1959 ein Kumpel der „Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut“ (SDAG) seinen Arbeitsplatz im bis heute noch geheimnisumwitterten Uranbergbau in der DDR. Das Gedicht ist zugleich bezeichnend für den naiven Umgang mit dem strahlenden Material.

Vor dem leichtfertigen Umgang warnt dagegen eine für DDR -Verhältnisse fast sensationelle Studie, die vom kirchlichen Forschungsheim Wittenberg unter dem Titel „Pechblende“ herausgeben wurde. Allen Handicaps zum Trotz - Statistiken werden streng geheimgehalten, wissenschaftliches Zahlenmaterial etwa zur radioaktiven Umweltbelastung steht nicht zur Verfügung, Recherche ist weitgehend Under-Cover -Sache - gelang es dem Autor Michael Beleites zusammen mit Mitarbeitern der Ost-Berliner Arbeitsgemeinschaft „Ärzte für den Frieden“, beachtliches Material zum Zustand des DDR -Uranbergbaus und seiner für Mensch und Umwelt gefährlichen Folgen zusammenzustellen. Mit dieser Studie wird in der DDR erstmals ein jahrzehntelanges Tabu gebrochen.

Uranerze in Form von glitzernd schwarzer Pechblende wurden schon im vorigen Jahrhundert in der heutigen südlichen DDR abgebaut und für die Herstellung von Leuchtfarben oder für den Radium-Einsatz in der Medizin verwertet. „In gewaltigem Tempo“ aber wurde der Uranbergbau erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges ausgebaut. Die SDAG Wismut ist seit ihrer Gründung 1946 - damals noch Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) - ein „Staat im Staate“ mit eigener Parteiorganisation, eigenen Krankenhäusern (nicht zuletzt weil das staatliche Gesundheitswesen überfordert war), einem eigenem Verkehrsunternehmen und eigenen Kontrollinstanzen. Staatliche Betriebe und Institutionen, die mit der „Wismut“ direkten Kontakt aufnehmen wollen, benötigen nach wie vor eine Sondergenehmigung. Als in den fünfziger Jahren die „SAGs“ in volkseigene Betriebe (VEB) umgewandelt wurden, verblieb nur die „SDAG Wismut“, nun allerdings mit deutscher Kapitalbeteilung, in sowjetischer Hand, quasi als unbefristete Reparationsleistung. Die Brennelemente zum Betreiben der eigenen Kraftwerke muß die DDR folglich aus der UdSSR zurückkaufen.

Das Wismut-Uran, so belegt die Studie, wurde mit Beginn des atomaren Rüstungswettlaufs „ausschließlich zu militärischen Zwecken“ abgebaut und war ausschließlich für die Sowjetunion bestimmt. Um dem Atombomben-Monopol der USA entgegenzuwirken, benötigte die UdSSR dringend Uran. Da eigene Lagerstätten vermutlich bergbaulich nicht erschlossen waren, boten sich die Bergbaureviere in der damaligen Besatzungszone und heutigen südlichen DDR an: Im Erzgebirge um Johanngeorgenstadt, in Thüringen im Gera-Ronneburger Gebiet und im Elbsandsteingebirge um Leopoldshain.

Ihre „Blütezeit“ erlebten die Uranbergbaureviere, die nach dem harmlosen Metall „Wismut“ benannt wurden, in den fünfziger Jahren mit bis zu 200.000 Beschäftigten. Unter der Belegschaft waren viele, die wegen „sozialer Auffälligkeiten“ zwangsverpflichtet wurden. Erst ab Mitte der sechziger Jahre ging die geheimgehaltene Förderquote und damit die Zahl der Beschäftigten zurück.

Über die gesundheitliche Gefahr des Uranabbaus erfahren die Wismut-Kumpel und die Bewohner von Ortschaften, die in der Nähe von Aufbereitungsbetrieben, Schlammbecken und Abfallerzhalden liegen, kaum etwas. Statistische Unterlagen über die im Uranbergbau typischen Krankheiten werden streng geheimgehalten. Dennoch gelang es Beleites zusammen mit seinen Mitarbeitern, eine beachtliche Liste von Krankheitsbildern und -symptomen zusammenzustellen. Die Lungenkrebsrate ist um das Zehn- bis Fünfzigfache höher als bei der übrigen Bevölkerung. Um ein Vielfaches häufiger treten auch Leukämie, Hodenkrebs, Haarausfall, Fehlgeburten und Mißbildungen bei Kindern auf.

Unter den Bergbauarbeitern wird der Rat weitergegeben, nach zehn Jahren Uranbergbau keine Kinder mehr zu zeugen. Die Bevölkerung ganzer Ortschaften klagen über ständige Müdigkeit, nach den Autoren der Studie eine Folge des von den Schlammabsetzhalden verwehten radioaktiven Staubs. Durch das bedenkenlose Ablassen von radioaktiven Abwässern und die sogannte Haldenlaugung mit Schwefelsäure (damit werden Urankonzentrate aus den Abfallerzen herausgefiltert) ist nach Schätzung des Autors das Grundwasser gefährdet und einige Flußabschnitte, etwa die Weiße Elster bei Gera, bereits „in erheblichem Maße radioaktiv verunreinigt“.

Gleichwohl wird gelebt, als gebe es die Umweltgefährdung nicht. Kühe grasen auf den Weiden, die Felder werden weiterhin bestellt. Auf den mit Erdschichten bedeckten Abfallhalden werden Pilze gesammelt, die hier besonders gut gedeihen. Uranhaltige Erzabfälle finden sich in Fundamenten und Fußböden von Wohnhäusern oder wurden für den Bau von Straßen und Plätzen verwandt. Über einen Abriß dieser „Bauwerke“ gibt es bislang keine öffentliche Diskussion. Vereinzelte Eingaben von Bewohnern beispielsweise gegen die Staubbelastung wurden abgelehnt: zu besonderen Maßnahmen bestehe kein Anlaß, schließlich handle es sich ja nicht um ein Erholungsgebiet.

Wismut-Beschäftigte werden zu strenger Geheimhaltung verpflichtet und mit materiellen Vergünstigungen entschädigt. Sie erhalten höhere Löhne, die vor allem in den ersten Nachkriegsjahren weit über dem Durchschnittslohn eines DDR-Arbeiters lagen und damals viele DDR-Bürger anlockten. Sie werden bei der Wohnungssuche bevorzugt, in moderneren und großzügigeren Krankenhäusern behandelt. Statt Aufklärung gibt es auch heute noch zusätzlich steuerfreien Schnaps, bis zu zehn Flaschen im Monat. Diese Fortführung einer fragwürdigen Bergarbeitertradition, stellt die Studie fest, wirke aber allenfalls gegen die berechtigte Angst vor Lungenkrebs.

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