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Lackmuspapier

■ Minister Töpfer badet den Rhein aus

Früher steckte man im Chemieunterricht Lackmuspapier in die kleinen Reagenzgläschen, um an der Verfärbung die chemische Substanz zu erkennen. Heute muß sich gleich ein ganzer Umweltminister in den Rhein schmeißen, um die Unbedenklichkeit dieser ätzenden Kloake unter Beweis zu stellen. Welch Bild: Der Minister entsteigt den beißenden Fluten und: Oh Wunder, er lebt! Wider Erwarten hängt seine Haut nicht in Fetzen herunter, keine roten Pusteln blähen sein Gesicht, kein eitriger Ausschlag auf den Ministerlippen, nur ein wenig entsorgen wird er sich müssen. Bravo Herr Töpfer, mit dieser Mutprobe ist nun unter Beweis gestellt, daß ein Bonner Politiker heute immerhin soviel wert ist wie ein Streifen Lackmuspapier. Nein, auch für eine völlig neue Politikform ist gesorgt, denn das persönliche Ausbaden rheinischer Umweltsünden durch den zuständigen Minister könnte im Bonner Kabinett zahlreiche Nachahmer finden.

Rupert Scholz düst im Tiefflug über Brokdorf, um zu zeigen, daß nicht jede Phantom auf einem AKW herunterkommt. Rita Süssmuth adoptiert vier Kleinkinder, um zu demonstrieren, daß Frauen in Not durch das neue Beratungsgesetz geholfen werden kann. Minister Kiechle verzehrt täglich drei Kilo Kalbfleisch, um vorzuführen, daß Männer mit Hormonbrüsten auch nicht viel weniger attraktiv sind als mit Bierbäuchen, und Helmut Kohl präsentiert eine Woche lang als Sozialhilfeempfänger, daß man mit dem Sozialhilfewarenkorb genauso schnell abnimmt wie mit der Kanzler-Diät am Wolfgangsee.

Aber noch etwas anderes hat der Töpfersche Rhein-Fall beispielhaft vorgeführt: Politik ist heutzutage eine so vergiftete Kost, daß sie – wie einst das Essen der Monarchen – vorgekostet werden muß. Um überhaupt noch den Anschein von Genießbarkeit zu erwecken, reichen schöne Worte als Vertrauensbeweis nicht mehr aus. Nur der, der seine eigene Politik überlebt, darf Kanzler werden.

Vera Gaserow

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