piwik no script img

Hauptsache: Gehorchen!

■ Weil eine Studien-Direktorin nicht auf Schulleiter-„Anordnung“ vor einer leeren Klasse stehen bleiben wollte, zog sie vor Gericht, bekam Recht und verlor trotzdem

In einem denkwürdigen, aber unfreiwilligen Lehrstück zum Thema „Obrigkeit“ mußte eine Studien-Direktorin des Gymnasiums Horn auf eigene Kosten mitspielen und dabei unter anderem lernen, daß Recht haben und recht bekommen Zweierlei ist.

Angefangen hatte alles damit,

daß sich SchülerInnen um ihre Schul-Geschicke mitkümmern, sich einmischen wollten - eines der erklärten Lernziele im bremischen Politik- und Geschichtsunterricht. Wegen der bevorstehenden Verlegung des Horner Gymnasiums an die Ronzelenstraße wollten SchülerInnen und LehrerInnen im Mai 1985 erstens ihren Protest ausdrücken und zweitens an den Planungen beteiligt werden - gegen den Willen der Schulleitung, die für einen „Planungstag“ den normalen Unterricht nicht ausfallen lassen wollte.

Am 17.5.85 zogen sämtliche SchülerInnen und viele LehrerInnen aus - zu Protest und Ortsbesichtigung des neuen Schulstandortes. Der empörte Schulleiter hatte vorsorglich mündlich und schriftlich „Anweisung“ erteilt, daß für alle LehrerInnen Anwesenheitspflicht in den vorgesehenen Unterrichtsräumen bestünde - auch, wenn kein einziger Schüler da wäre. Er selbst blieb in der Horner Straße und kontrollierte da die Anwesenheit der KollegInnen.

Die unsinnige Anweisung, vor leerer Klasse stehen bleiben und „das Unterrichtsangebot aufrechterhalten“ zu müssen, fand die Studien-Direktorin v. Borries

unerträglich und demütigend. Sie blieb, nachdem die ganze Schule schülerleer war, im Lehrerzimmer.

Nachdem sich zuerst der Schulrat und dann auch der Bildungssenator hinter seinen Schulleiter gestellt und im nachhinein ausdrücklich die Recht- und Zweckmäßigkeit der Anordnung begründet hatte, wandte die sich ans Verwaltungsgericht: „Autoritär geprägte Anweisungen darf man nicht weitergeben; Beamte müssen ermutigt werden, sich dem zu widersetzen“, begründete sie gegenüber der taz ihre juristischen Schritte.

Damit begann der ebenso absurde zweite - juristische - Teil des Lehrstücks: Das Verwaltungsgericht (VG) bescheinigte in seinem Urteil der Kollegin, sie habe die „rechtswidrige“ Anordnung „zu Recht als demütigend“ empfunden.

Das aber mochte die Gegenseite nicht auf sich sitzen lassen und rief das Oberverwaltungsgericht (OVG) an. Und da ging es den Juristen dann darum, „Formfehler“ im VG-Urteil zu korrigieren: Erstens hat so ein Gericht „aus Gründen der Effizienz“ gar nicht festzustellen, ob Schulleiter -Anweisungen rechtswidrig sind. Und zweitens sei die Stu

dien-Direktorin „auch zur Befolgung einer rechtswidrigen (nicht: strafbaren, d. Red.) Weisung verpflichtet“ gewesen. Unter BeamtInnen geht das so: Die Kollegin hätte dem Schulleiter förmlich sagen müssen, daß sie seine Bedenken für rechtswidirg hält („Remonstration“), „dann muß sie zwar trotzdem gehorchen, aber der Dienstvorgesetzte trägt die Verantwortung“ erklärte ein OVG-Richter der taz. Und drittens, so die findigen Richter, habe sie ja von sich aus gar nicht im leeren Klassenraum, sondern im Lehrerzimmer ausgeharrt, also nur das „aus ihrer Sicht rechtlich Zumutbare“ getan.

„Das erste Urteil ist ja inhaltlich nicht aufgehoben“, erklärte Frau v. Borries gegenüber der taz. Sie hofft, daß durch den Rechtsstreit immerhin „die Obrigkeit angestoßen wird zu reflektieren, ehe sie sowas macht“. Auch eine Lehrerversammlung des Gymnasiums Horn, GEW und Philologenverband hatten die Kollegin unterstützt und auf das Urteil für „sinnlosen Gehorsam“ aufmerksam gemacht. Anmerkung der Studienrätin für Geschichte: „Friedrich der Große hat oft seine oberen Beamten zurückgepfiffen zugunsten der kleinen!“ Susanne Paa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen