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GMBH FÜR PROFIS UND DILETTANTEN

■ Off-Line, 12. Durchgang in den Messehallen

Die Halle erinnert an ein Warenhaus. Wer sich eine neue Kombination an einem Stand der 170 AustellerInnen zulegen will, kann die dazu passenden Schuhe, Mäntel, Hüte, Gürtel, Taschen und den Schmuck gleich nebenan erwerben. Sollte die Neue gar am alten Körper etwas seltsam aussehen, lassen sich einen Gang weiter frische Haare anschweißen und noch einen weiter das künstlerische Make-up auftragen. Kinder müssen sich neben ihren neuen Vorfahren nicht als Schmuddelkinder fühlen, denn sechs AustellerInnen betreiben die Abteilung für Kinderoberbekleidung. Und falls die Gefahr besteht, in dem neuen Styling daheim deplaziert zu wirken, können Tische, Lampen und Wandschmuck gleich mitgekauft werden.

Eine solche Rundumerneuerung in Angriff zunehmen, fiele nicht schwer - vorausgesetzt, eine Handvoll gedeckter Schecks steckt locker in der Jackentasche -, denn praktischerweise haben die DesignerInnen ihre Kollektionen aufeinander abgestimmt. Diejenigen, die nicht nur Schwarz tragen wollen, haben immerhin die Wahl zwischen einem beliebten indischen Gewürz und einer Farbpalette von Mexikobeige bis Taigabraun. Es sei denn, sie schwärmten für das neue Zeitalter und Space, da schmücken kleine Kosmen pastellfarbener Blousons, oder sie haben das „Jahrzehnt des schlechten Geschmacks“ wiederentdeckt, das hier allerdings allenthalben als Jahrfünft vertreten ist.

Es ist der 12. Durchgang der Off-Line-Mode-Messe, die von Mal zu Mal größer gerät. Die Veranstalter wagen den Seilakt zwischen dem Anspruch, „off“ zu sein und der Behauptung, Mode sei nur dann Mode, „wenn sie sich verkaufen läßt“.

Größer ist die Off-Line dieses Mal zum einen, weil die Veranstalter zwei Designer aus der DDR vom „Modeexpress Berlin„-VEB Kombiant Dienstleistungen eingeladen hatten, zu denen der Kontakt während des DDR-Abstechers des Off-Line -Modetheaters geknüpft woren war, zum anderen, weil die Quadratmeterzahl der Ausstellungsfläche bei gleichbleibender TeilnehmerInnenzahl erhöht worden war, damit sich mehr BesucherInnen auf mehr Platz nicht mehr drängeln müssen.

Das Publikum zieht es trotzdem vor, sich in den äußeren Straßen zu schubsen, und die AusstellerInnen an ihren Ständen in den verwinkelten Mittelgassen haben das Nachsehen. Ziehen die Laufgäste zu den Shows in die Nebenhalle, springen den in dem gepflegten Ambiente Zurückbleibenden plötzlich schiefe Nähte, ausgefranste Ecken und verkrumpelte Knopflöcher in die Augen.

Am Freitag, um 24 Uhr, fand die „Midnight Special Show“ statt. Die Halle bot mehr Sitzplätze und bessere Sicht für mehr Gäste. Großartiges konnte kommen, hatten die Veranstalter zuvor doch noch getönt, „die Midnight -Specials sollen keine 'Spielwiese für Dilettanten‘ mehr sein“. Sie hatten ihre Rechnung aber nicht mit Anita Nüskes „Ausbildungsinstitut für Mannequins und Fotomodelle“ gemacht. Augusto Nori, Fachmann für schwarze Eleganz, wurde zum Ausstatter für Beerdigungsgäste. Die weiblichen Trauernden waren am Tag zuvor, wie es sich gehört, noch schnell zum Damenfrisör geeilt: donnerstags Schülerpreise, Waschen, Dauerwellen und Fönen für 45 Mark mit beschränkter Haftung. Auf dem Weg von der Kapelle zum Grab wagten die Models ein paar Tanzschritte, um Mann und Frau zusammenzubringen, schließlich geht das Leben weiter. Unter „Buh!„- und „Ave!„-Rufen trollten sie sich endlich backstage.

Vor der Leder- und Latexmoden-Schau von „Schwarze Mode“ zeigte das Tunten-Ensemble „Ladies Neid“ mit BeV Stroganov und X-Mode den Pennälern (und der ganzen Messe), wie's gemacht wird: Stöckelschuh und Springerstiefel, Perücken und Ledernackenkäppis, Kleider zum Hinfallen, Fruchtbarkeitstänze und Polonaise, Küß die Hand, gnä‘ Frau! Und bloß nicht alles so ernst nehmen, sich selber schon gar nicht.

Claudia Wahjudi

Heute noch von 16-23 Uhr, Modeschauen um 18 und 21 Uhr in den Messehallen 4 und 5.

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