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Hoffen auf die einstige jüdische Hausbesitzerin

■ Wegen des geplanten Erweiterungsbaus des Moabiter Kriminalgerichts sollen zwei landeseigene Häuser in der Wilsnacker Straße abgerissen werden / Mieter entdecken jetzt die einstmals zwangsenteignete jüdische Inhaberin als Rettung vor der drohenden Vertreibung

Der Abriß ihrer Häuser und die Vertreibung aus dem Kiez droht fünfzig Familien und zehn Betrieben: Am 1. Oktober wird das Tiergartener Grundstücksamt Mietern der Eckhäuser Wilsnacker Straße 1 und 2 sowie Alt Moabit 21/22 kündigen. Die Senatsjustizverwaltung will das dortige Kriminalgericht erweitern. Seit Monaten kämpft die Mietergemeinschaft für den Erhalt ihrer preiswerten, noch guterhaltenen Wohnungen. Keine „Szeneleute“ leben dort, sondern bislang brave Bürger, Familien und Rentner, die inzwischen gelernt haben, sich zu wehren.

Aber die Zeit wird knapp. Ihre letzte Rettung sehen die MieterInnen in der früheren jüdischen Besitzerin des Hauses, deren Familie von den Nazis enteignet wurde. Man habe sich mit der alten Dame, die heute in New York lebt, über einen Anwalt in Verbindung gesetzt. Wenn sich herausstellen würde, daß die Häuser dem Land Berlin gar nicht gehören, wäre der Abriß gestoppt, hofft Mietersprecher Peter Riecker.

Im Grundbuch ist das Deutsche Reich als Eigentümer eingetragen. Dieses brachte die Häuser 1943 per Zwangsverkauf in seinen Besitz, berichtet die in Tiergarten erscheinende 'Moabiter Times‘: Der Student Michael Jivatovski, ein jüdischer Sowjetbürger, kaufte 1935 die Grundstücke, auf die sein Vater Samuel bereits eine Hypothek hatte. Ab 1937 standen sie unter Zwangsverwaltung des NS -Staates. Seit 1939 gibt es Pläne, die Justizverwaltung dahin zu erweitern, damals war von einem Untersuchungsgefängnis die Rede. 1943 wurde Michael Jivatovski nach dem Zwangsverkauf in ein KZ deportiert. Er überlebte, nach dem Krieg kämpften er und seine Ehefrau Valentina um die Rückgabe des Hauses. Er starb, ohne Erfolg gehabt zu haben und seine Witwe will nun, so versprach sie den Mietern, ihre Ansprüche wieder anmelden. Sollte sie es schaffen, würde dies allerdings Konsequenzen für die Planung haben, bestätigte Justizsprecher Christoffel.

Die MieterInnen haben nun wieder Hoffnung geschöpft. Sie sammelten auf dem Turmstraßenfest 1.700 Unterschriften gegen den Abriß und übergaben sie Tiergartens Bürgermeister Ernst (CDU).

Der zeigte sich nicht sehr hilfsbereit: Es gebe ja einen Bezirksamtsbeschluß gegen Abriß, mehr könne er nicht tun. Eine Dokumentation zu erstellen oder eine Veranstaltung zu organisieren, hielt er angesichts der „ohnehin großen Öffentlichkeit“ für überflüssig. Man sei an eine Weisung der Hauptverwaltung gebunden und müsse die Häuser abreißen lassen. In vorauseilendem Gehorsam läßt das Bezirksamt teilweise schon seit Jahren Wohnungen leerstehen, über Transparente und Plakate gegen den Abriß beschwerte sich das Grundstücksamt bei den MieterInnen.

Der Abriß wurde vom Bezirksamt Tiergarten durchgeführt, eine Weisung der Hauptverwaltung gebe es nicht, erklärte Justizsprecher Christoffel. Dafür aber erheblichen Platzbedarf der Justiz: „Jetzt arbeiten teilweise vier Personen in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer.“ Alternativgrundstücke könne man nicht akzeptieren, denn das Kriminalgericht solle als Ganzes zusammenbleiben.

Das ist wohl auch ohne Abriß möglich. Die Tiergartener SPD schlägt vor, den Justizerweiterungsbau am anderen Ende des Kriminalgerichts zu bauen, nämlich Ecke Alt Moabit/Rathenower Straße.

Weitere Vorschläge, diesmal von der MieterInnen-Seite, zielen auf das vermutlich bald freiwerdende Bolle -Grundstück, ebenfalls Alt Moabit, das ehemalige Frauengefängnis oder das jetzige Amtsgericht, beide in der Lehrter Straße gelegen. Zeitgründe dürften eigentlich keine Rolle spielen: Schließlich liegt die Erweiterungsplanung seit fast 50 Jahren auf Eis.

Eva Schweitzer

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