: Koalitionsstreit um Begnadigungen
■ Weizsäckers Prüfungen zur vorzeitigen Haftentlassung ehemaliger RAF-Mitglieder findet Fürsprecher und Gegner in der Koalition / Gespaltene Reaktionen auch unter Angehörigen der Opfer von Anschlägen
Berlin (ap/taz) - Bundespräsident von Weizsäcker hat am Wochenende teilweise deutliche Rükkendeckung dafür erhalten, eine Begnadigung der beiden ehemaligen RAF-Mitglieder Peter -Jürgen Boock und Angelika Speitel zu prüfen. Nachdem am Freitag schon CDU-Generalsekretär Geißler erklärt hatte, das Gnadenrecht gehöre zu den „großen Errungenschaften der Zivilisation“ und er habe volles Vertrauen in den Bundespräsidenten, äußerte sich nun auch der christdemokratische Vorsitzende des Bundestags -Rechtsausschusses, Herbert Helmrich, eher zustimmend. „Weizsäcker unternimmt einen couragierten Schritt“, sagte Helmrich in einem Interview der 'Stuttgarter Zeitung‘. Der Bundespräsident müsse auch in dieser Frage souverän entscheiden und die CDU werde ihm dabei keine Steine in den Weg legen. Unabhängig von seiner Entscheidung über die umstrittene Begnadigung bleibe Weizsäcker in jedem Fall Kandidat der Union für die Präsidentschaftswahlen 1989.
Sehr eindeutig für einen Gnadenakt hat sich die FDP -Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Irmgard Adam-Schwätzer ausgesprochen: „Der Staat darf um des inneren Friedens willen nicht Rache üben, spalten und ausgrenzen, sondern muß die Türen wirklich offen halten für jene aus der früheren Terroristenszene, die den Weg zurück in die Gesellschaft suchen. Wir alle müssen diese Zeit, die bei uns tiefe Narben hinterlassen hat, aufarbeiten und dürfen sie nicht so verdrängen, wie wir das mit so vielen Dingen aus unserer Geschichte schon gemacht haben“, sagte Frau Adam-Schwätzer. Man dürfe sich nicht ausschließlich nach dem „gesunden Volksempfinden“ orientieren.
Das „gesunde Volksempfinden“ hatte zuvor die Illustrierte 'Quick‘ über das Meinungsforschungsinstitut „Sample“ erkunden lassen. Bei der Repräsentativ-Befragung äußerten sich 51,2 Prozent der Interviewten gegen eine Begnadigung der ehemaligen RAF-Mitglieder, nur 25,7 Prozent sprachen sich dafür aus.
Das „gesunde Volksempfinden“ zog auch Bayerns CSU -Staatsminister Edmund Stoiber für seine Präsidentenschelte heran. In 'Bild am Sonntag‘ warnte Stoiber, durch einen solchen Gnadenakt könne „das hohe Ansehen des Präsidenten Schaden nehmen“. Daß sich Speitel und Boock vom Terrorismus losgesagt hätten, könne er als Argument nicht gelten lassen. „Sich von der Tat zu distanzieren und Reue zu zeigen, kann doch wohl allein kein Gnadengrund sein“, wetterte der CSU -Mann.
Auch unter den Angehörigen der Opfer von Anschlägen, die der RAF zugerechnet werden, gehen die Meinungen weiter auseinander. Während die Mutter eines bei der Schleyer -Entführung ermorderten Polizisten meinte: „Ich bin nicht rachsüchtig, aber der Gedanke ist unerträglich, daß diese Menschen wieder unter uns leben sollen, als sei nichts geschehen“, billigte Schleyers Sohn Eberhard im Fernsehen dem Bundespräsidenten eine persönliche Entscheidung zu. Zu berücksichtigen sei dabei, inwieweit jemand auch nach außen von seinen Taten Abstand genommen habe und ob mit einer Begnadigung Gefühle der Betroffenen verletzt würden.
Ve
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