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PorNo-betr.: "Perverses Geplänkel", taz vom 10.9.88

Betr.: „Perverses Geplänkel“, taz v. 10.9.88

Verstrickt in ein unentwirrbares Knäuel aus Gewalt, Phantasie, Sexismus, Gesetz, Sexualität und Erotik haben sich grüne Frauen jetzt bei der PorNo-Debatte. Die AL -Fraktion in Berlin hat's da einfacher: „Immer feste druff“ lautet das Motto, fast wie bei der Hundekacke. Allparteienkoalition der moralischen Mehrheit. Gesundes sexuelles Volksempfinden statt mehr Demokratie und Selbstbestimmung. Rätselhaft bleibt, weshalb linke Frauen nicht in der Lage sein sollen, eine materialistische Analyse der Sexualität als körperlichem Bedürfnis vorzunehmen, das mit anderen Bedürfnissen auf gleicher Stufe in Form einer Sexual-Kultur der Vielfalt es zu entwickeln gilt.

Erotische Gegenkultur lautet der kleinste gemeinsame Nenner. Wenn das nicht eine leere Worthülse bleiben soll, so sind die politischen Voraussetzungen zu formulieren, die eine kulturelle Entfaltung erst ermöglichen. Dazu gehört unter anderem eine völlige Entkriminalisierung selbstbestimmter Sexualität und selbstbestimmt dargestellter Sexualität. Selbstbestimmt innerhalb des Rahmens, der für alle anderen Lebensbereiche gilt und weiter ausgedehnt wird. Der §184 StGb muß nicht angewendet, sondern ersatzlos gestrichen werden. Nicht nur für ein Recht auf Abtreibung (Selbstbestimmung über den eigenen Körper) gilt es zu kämpfen, sondern auch für ein Recht auf einverständliches sexuelles Handeln für alle Frauen und Männer, Schwulen und Lesben. Was nicht heißt, daß das alle gleichermaßen schön und erotisch zu finden brauchen. (...) Mein Problem als Linker ist viel eher, daß Frauen (und Schwule), die ihre Arbeitskraft verkaufen, in der Sexindustrie oft arbeitsrechtlich ganz unzureichend abgesichert sind. Mich interessiert weniger, was in den Pornos dargestellt wird, als vielmehr wie das geschieht. Arbeiterinnen, die in Kolumbien Schnittblumen für Europa pflegen, werden dabei mit Insektiziden besprüht - bei uns undenkbar. ArbeiterInnen in der Porno-Industrie müssen sich für ihren Arbeitgeber blutig schlagen lassen. Körperverletzung am Arbeitsplatz, das ist der eigentliche Skandal. Die Betroffenen müssen ein Recht bekommen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, damit sie ihren Anspruch auf Lohn, Freizeit, Gesundheitsschutz und humane Arbeitsplätze verwirklichen können. Maßstab können hier Verträge sein, die bereits in der Film- und Fernsehbranche in anderen Bereichen existieren und weiter verbessert werden können.

Der Kampf um die Inhalte der Filme kann weder mit juristischen noch mit politischen, sondern nur mit ästhetischen Mitteln geführt werden. Viele von uns finden S/M-Sex scheußlich, die meisten Heteros wie Homos bevorzugen den Kuschel-Wuschel-Sex, dennoch ist S/M selbstbestimmt, solange frau/mann selbst bestimmt, ob und wie sie/er sich auf dieses Spiel einläßt und wann Schluß ist damit. (...)

Frauen, die andere Frauen zu hilflosen Opfern definieren, obwohl diese nichts anderes tun, als ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, sind intolerant und anmaßend. Und das ist frauenfeindlich, denn es erzeugt Angst und verhindert sexuelle Entfaltung und Kreativität bei Frauen und Mädchen, verhindert eine offene und vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit den Betroffenen und fördert die Hoffnung auf Staat und Justiz. Sie machen andere Frauen zum Objekt ihrer Opfertheorie, obwohl sie wissen müßten, daß beim Sex die Beteiligten immer sowohl Objekt als auch handelndes Subjekt sind, was auch auf den Bildern nicht verborgen bleibt. (...) Es muß doch klar sein, daß Liberalisierung des Strafrechts eine notwendige, wenn auch nicht allein ausreichende Bedingung für sexuelle Befreiung ist.

Wer sich der Aufklärung verpflichtet fühlt, kann kein Interesse haben an der feministischen Mystifizierung männlicher Gewalt, die zur Zeit so en vogue ist und die so etwas wie feministischen Chauvinismus hervorbringt. Diese Ideologie ist finster, denn sie braucht die männliche Gewalt, wie der bürgerliche Staat den Terrorismus, zur eigenen Rechtfertigung. Auch diese Ideologie kann das Patriarchat nicht überwinden - macht sie es sich doch zum Maßstab mit umgekehrten Vorzeichen und mißbraucht die S/M -Pornographie zum Beweis. Von einem Kommentator mit dem politischen Hintergrund eines Elmar Kraushaar hätte ich mir zur PorNo-Debatte in Berlin einige deutliche Sätze gewünscht statt heiße Luft und Achselzucken.

K.Hartmann, AL-Mitglied im Schwulenbereich

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