Überleben-betr.: "Im Universum trauert uns keiner nach", taz vom 14.9.88

Betr.: „Im Universum trauert uns keiner nach“,

taz vom 14.9. S. 14

Zu dumm zum Überleben? Die Dummschwätzer dieser ZDF -Sendung vom 12.9. hätten sich einmal die Rappelkiste ansehen sollen mit dem Erkennungssong „Dumm gebor'n ist keiner“. Dann hätten sie - aber auch taz-Kritikerin Susi Billig - vielleicht das ewige Gerücht von „unserer genetisch -emotionalen Steinzeitausstattung“ - samt S.B.s „steinzeitlichen Sentimentalitäten“ - nicht nachgeplappert.

„Die Fragen nach der Lernfähigkeit der Menschheit und der Programmgestaltung des menschlichen Gehirns“ (S.Billig über des unsäglichen Gesprächsleiters „Interesse“): Völlig problemlos setzen diese ausgewachsenen und wohlerzogenen (d.h. seelisch und geistig versklavten/verblödeten) Spießbürger sich selbst als „menschlich“ und für „die Menschheit“, blasen ihre kümmerlichen Selbsterkenntnisse zu anthropologischen Wahrheiten auf, ignorieren vollständig (aber von Ingo Hermann ist man das ja gewöhnt), was den Menschen während ihrer Kindheit angetan wird, bevor ihre Lernfähigkeit so verkrüppelt/pervertiert wird, daß dann nur noch Katastrophen was bewirken, aber die ja eigentlich auch nicht, also bis die Dummheit auf der ganzen Linie siegt.

Als Kinder waren diese Schwachköpfe noch lernfähig, neugierig, kreativ und (wahrscheinlich) sympathisch, jedenfalls die Klügeren. Doch sie haben nachgegeben, um individuell zu überleben. (Selbstaufgabe ist für Kinder der einzige halbwegs sichere Schutz vor dem Toterzogenwerden.) Und jetzt sind sie fertige Menschen, fertiggemacht zu starken Charakteren mit festen Überzeugungen, mit Gewissen, Moral, tiefem Glauben an dies oder jenes, aber ihre Lernfähigkeit ist futsch. Verbraucht. Deshalb steht jetzt das kollektive Überleben auf dem Spiel. Aber die Phantasie dieser Leute reicht nur noch soweit, sich noch effektivere Methoden auszudenken, um aus den heutigen Kindern ebensolche Karikaturen zu machen.

Ich weiß nicht, ob die Menschheit überleben wird oder nicht. Aber eines ist sicher: Unsere genetisch-emotionale Ausstattung ist nicht schuld, wenn die Menschheit sich umbringt. Sondern schuld sind all die Ingo Hermanns, die gegen besseres Wissen (um ihre eigene Verrottetheit nicht wahrhaben zu müssen) immer weiter dafür arbeiten, den „Geist des Kindes“ umzubringen. Der Anthropologe Ashley Montagu in seinem Buch Zum Kind reifen: „Der Geist des Kindes ist zuletzt eben der Geist der Humanität, ein adaptives Merkmal von größtem biologischen Wert.“ (S.163) Und: „Die meisten Erwachsenen heute sind: degenerierte Kinder.“ (S.267)

Ich finde es echt übel, wenn sogar die taz das Gerücht weiterverbreitet, die menschlichen Gene seien für die moderne Welt nicht geeignet. Genetisch ist der Mensch lernfähig bis zur Genialität. Das Problem ist, daß die alten Menschen glauben, die neuen Menschen müßten die wesentlichen Dinge von ihnen lernen, statt umgekehrt. Und das sogar unter Zwang (Schulpflicht) und mit Gewalt (Züchtigungsrecht).

Daß „die Linke“ dieses Problem ebenso ungern thematisiert wie „die Herrschenden“, stimmt mich persönlich optimistisch: Was die Götter vergeblich versuchen - die Dummheit auszurotten -, werden die Menschen bald geschafft haben. Die Erwachsenen. Die Wohlerzogenen.

Daß dabei auch die Kinder die Dummen sind, wirkt im vor hinein vielleicht betrüblich, kann aber linke Leute kaum erschüttern. Warum sollte die endgültige Selbst-Abtreibung der Menschheit ausgerechnet auf Kinder Rücksicht nehmen?

Und wenn es im Universum etwas gibt, das trauern kann, dann trauert es schon lange über alle neuen Menschen, die dem Machbarkeits/Erziehungswahn der alten Menschen aufgeopfert werden.

E.v.Braunmühl, Wiesbaden

Danke für die Besprechung! Denn hier wurde wenigstens mal neben den vielen lustvoll besetzten Nebensächlichkeiten des Tages die Sendung um das wohl relevanteste Thema unserer Zeit bemerkt. (...) Ich finde es schade, daß wir auch jetzt noch, angesichts des uns drohenden Untergangs, unfähig zum Gespräch sind. Unfähig zum Gespräch, das Verstehenwollen zum Ziel hat. Schade, daß wir weiterhin in der Verhaltensweise verharren, mit der wir nur eins können: weiterhin dem Ende entgegendriften. Schade, daß wir uns weiterhin immer nur gegenseitig beweisen müssen, wie recht wir haben und wie falsch der/die andere liegt! Schade, daß wir uns immer wieder als die Größten profilieren und die anderen niedermachen müssen.

Dabei war die Runde doch wirlich hochinteressant und vielseitig zusammengesetzt. Und jeder der Teilnehmer hatte Wichtiges, Bedeutendes und Bedenkenswertes zu sagen. Aber künstlich, wohl aus persönlicher Eitelkeit heraus, mit blöder Profilierungssucht, offensichtlich auch mit Vorurteilen und unterschwelligem Haß gingen einige Teilnehmer auf Polarisierung zu. Und sie verstanden sich gegenseitig nicht, obwohl sie sich so viel zu sagen gehabt hätten, obwohl es für jeden von uns so viel Interessantes zu hören gegeben hätte. Und so kam es auch nicht zu dem fruchtbaren Austausch, zur Synthese von Erkenntnissen, die wir alle bitter nötig haben. Oder ist hier etwa jemand, der ganz genau weiß, wo es lang gehen müßte?

Die Sendung war eine verpaßte Gelegenheit. Im Fernsehen kommt sowas wohl nicht gleich wieder. Wie wäre es, wenn die taz die Runde mit gleicher Besetzung wiederholen und fortsetzen würde? Dann müßte auch kein Ingo Hermann Angst haben, daß es politisch wird. Und das würde es in der Konsequenz bestimmt. Ein Supervisor, der von der streitsüchtigen Diskussion weg hin zum Gesprächsstil des Verstehenwollens führt, wird sich doch wohl noch finden lassen, bei so viel Intelligenz in der taz-Redaktion. Oder?

Theo Krönert, Stuttgart