: Albatros mit „Luft in den Armen“
Der australische Außenseiter Armstrong gewinnt in Weltrekordzeit Gold über 200 Meter Freistil ■ Aus Seoul Herr Thömmes
Die Namen Biondi und Groß sind durchaus geläufig. Aber Armstrong? War das nicht der erste Mensch, der einen Fuß in den Staub des Mondes setzen konnte? Es gab eine gehörige Verwirrung, als auf der Pressekonferenz statt erwarteter Schwimmstars ein gänzlich Unbekannter Fragen beantworten mußte, als neuer Weltrekordler gar. Australische Reporter sahen sich von Kollegen umringt und gaben Auskunft über ihren Landsmann: Wo wohnt er, studiert er? Ein Mitarbeiter des koreanischen Fernsehens bat den Olympiasieger inständig, doch etwas über sich und seine Familie zu erzählen. Von Matt Biondi und Michael Groß wisse er alles, aber Duncan Armstrong?
Selbst Armstrongs Trainer Larrie Lawrence, der allgemein als nicht ganz dicht gilt, zeigte sich überrascht und leicht beleidigt: „Zwei Jahre habe ich den Kerl jeden Tag in den Hintern getreten, nur zweimal hat er seine persönliche Bestzeit verbessert, und jetzt schwimmt er Weltrekord und ist Olympiasieger und hat es mir vorher nicht gesagt.“ Schon kurz nach dem Rennen hatte der in grellbuntes Tuch gewandete und mit einem australischen digger-hat behutete Lawrence nach einem kräftigen Hieb aus der Schnapsflasche liebevoll durch das Schwimmstadion gedröhnt: „Bringt das Tier raus zu mir. Der verdammte Hund muß noch zwei Meilen schwimmen und 500 Kniebeugen machen, und dann muß er hier in irgendeine Flasche pinkeln, damit sie ihm die Goldmedaille später nicht mehr wegnehmen können.“
Auch Groß hatte den Australier „nicht in der Kalkulation“. Was weiter nichts ausmachte, denn letztlich blieben noch drei andere vor ihm. Daß es eng zugehen würde bei den 200 Meter Freistil, war abzusehen: Drei aktuelle Weltrekordler gingen an den Start, neben Groß (200m) und Biondi (100m) noch der Pole Wojdat (400m). Und ein Zweikampf Groß/Biondi wurde herbeigeredet wie im Falle Lewis und Johnson. Daraus wurde nichts.
Von Anfang an schwamm der Offenbacher hinterher, die Führung wechselte bis zur Wende bei 150 Meter zwischen dem Schweden Holmertz und Biondi, erst dann kam Armstrong. Der einfache Grund: „Ich bin diesmal nicht gestorben, wo ich sonst sterbe.“ Im Gegenteil, er konnte noch zulegen, anders als Groß, der auf der Schlußbahn plötzlich „Luft in den Armen spürte“. Und nervös, nervös sei er auch nicht gewesen.
Von oben sah das etwas anders aus. Während die anderen noch in ihren Kleidern steckten, zappelte Groß bereits am Startblock herum; daß gerade er einen Fehlstart produzierte, paßte ins Bild. Wenig später schoß ihm durch den Kopf, „Scheiße, das hab ich in den Sand gesetzt“. Jetzt gelte alle Kraft der Staffel; der Einzelkämpfer sucht Motivation im Kollektiv.
Aufs Essen jedenfalls, über das hier viele Sportler mosern, schob Michael Groß seine „fehlende Energie“ nicht. „Die Italiener“, hat er beobachtet, „haben einen eigenen Koch dabei und sind auch baden gegangen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen