: Wir malen uns eine Stadt
■ 2000 Bremer Sekundarstufe I Schüler machen aus häßlichen Schaltkästen niedliche Malkästen und bekommen darum eine Ausstellung im Stadtwerke-Haus am Wall
„Sicher ist es auch Ihnen schon aufgefallen: Freie Flächen an Häusern und anderen Bauwerken (z.B. Schaltkästen der Stadtwerke Bremen AG, d.A.) werden oftmals be
sprüht, bemalt oder beklebt. Häßliche Schmierereien verärgern nicht nur die Hausbesitzer, sondern ebenso die Bürger in den betroffenen Stadtteilen.“ ( Stadtwerke Bremen AG)
Sicher ist Ihnen noch nicht aufgefallen: Vier Schaltkästen in Oberneuland sind seit anderthalb Jahren gegen solch Ungemach gefeit. Die hat Frau Ingeborg Stelzer von eigenen und Nachbars Kindern bemalen lassen. Sie hatte sich über ausländerfeindliche Parolen auf den öffentlich herumstehenden Stromkisten geärgert. Letztlich geht es natürlich „nur um die Kinder“, sagt Frau Stelzer.
120 weitere Schaltkästen wurden in den letzten Monaten von immerhin 2000 Kindern aus 42 Bremer Schulen zugemalt. Frau Stelzer hat nämlich bei den Bremer Stadtwerken und Bildungsinstitutionen die „Wir-malen-Bremen-schöner„ -Aktion initiiert. Zum schönen Motto können Bremens Stadtwerke jetzt kinderlieb
PR betreiben. Und alles mit dem erwachsenschlauen Kalkül „Kinderhandgemaltes schützt öffentliches Eigentum„. Letztlich geht es natürlich nur um die Kinder.
Ein nettes „Kind“ aus der 8. Klasse erklärt mir sehr vernünftig (souveräner Umgang mit der Presse) Entstehung und Aufgabenverteilung des verschulten Stromkastenkunstwerks mit Tauben drauf. Die „Kindergruppe“ bekam dafür einen Sonderpreis der Jury, weil sie den Kasten auch noch eigenhändig und fachmännisch grundiert hatte.
Preise gab es nämlich auch für die über hundert Bremer Kunstkisten („Lernorte außerhalb der Schule“ sagt der Referent für Schulausstattung des Bildungssenators, Herr Geisler-Knickmann). In der Schule gibt es schließlich auch immer Noten. Die Stromkasten-Jury beurteilte nach Umgebungsbezogenheit, Originalität, Reinheit der Schüler arbeit (Lehrer, nein danke) und kunstvoller Berücksichtigung des
Kastens als Kasten.
Die fünf ersten Preisträger wurden gestern zur Stromkasten -Foto-Ausstellungseröffnung insHaus der Stadtwerke am Wall geladen, zu O-Saft und Salzgebäck. Sekt und Scheck zum Preis bekamen die Lehrer. Die Hauptgewinner, die Klasse R 10 C (so heißt das heute) aus Habenhausen mit einer Erdbeer-Idylle samt Großmutterns Marmeladentöpfen, ist am Baumhauser Weg/Bollener Weg zu begucken. Der zweite Preis steht am Dobben (vorm Sanitätshaus), der dritte an der Oberneulander Landstr. 143 a. Auto-Tacho mit Natur drumrum: ein Öko -Thema.
Bei der Motivauswahl haben die beteiligten Klassen freie Hand, wobei wir davon ausgehen, daß die Motive keine politischen Inhalte vermitteln und nicht diskriminierend wirken. (Stadtwerke AG)
Wovon man in den 70er Jahren auf gar keine Fall hätte ausgehen können: Die Bilder sind tatsächlich bloß selbstverliebt niedlich, graffitti-modern, lustig oder einfach schön. Das Öko-Thema des dritten Preises ist die große Ausnahme. Mein breitenwirksames Lieblingsbild: zwei Schaltkästen an der Kornstr. 367/369 in einer Reihe als dicke gelbe Käse-Ecke mit Comic-Mäusen drin. „Kunst ist das ja nicht“, sagt Geisler-Knickmann, „ich nenn‘ das immer künstlerische Gestaltung.“
2000 Kästen gibt's in Bremen, erklärt mir Ost-Bezirks -Ingenieur Baumgart von den Stadtwerken, 50 wolle man pro Jahr vergeben. Macht 37,5 Jahre öffentlicher und stadtwerkgesponsorter Kunstunterricht in Bremen.
Wer erstmal die diesjährigen Beiträge bewundern möchte, kauft sich am besten eine Bremer Karte (bei den Stadwerken!) oder beguckt sich die Fotos der Ausstellung am Wall 114/115 im 4. Obergeschoß. Vielleicht funktioniert dann auch wieder der Fahrstuhl.
Petra Höfer
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