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Landwirtschaft-betr.: "Europa 1992 - keine Alternative in Sicht", taz vom 14.9.88

Betr.: „Europa 1992 - keine Alternative in Sicht“,

taz vom 14.9.88, S.8/9

Es ist höchste Zeit, daß im linken und ökologisch ausgerichteten Spektrum der Politik eine Diskussion über Europa ausbricht. Aber das, was die drei dort veranstalteten, kann nicht mehr als eine „Aufwärmübung“ sein. Als Bauer hier im Wendland möchte ich ein paar kurze Anmerkungen zu dem Thema machen. Meiner Meinung nach geht der Zug genau in die falsche Richtung. Es gab mal eine Zeit in der Alternativbewegung, da war Konsens, daß die Entwicklung zu immer weiterer organisatorischer Zentralisierung von Übel ist und einzig und allein im Interesse von Großkonzernen liegt. Auch wir Bauern, die europaweit unter sehr unterschiedlichen Bedingungen produzieren, werden doch schon jetzt von internationalen Handelsorganisationen gegeneinander ausgespielt. Und zwar nicht nur in Europa, sondern global.

Zum zweiten ist das ganze „Transportunwesen“, das Verschieben von Waren weltweit aus rein merkantilen Gründen ein ökologischer Wahnsinn und Verschwendung von Ressourcen. Weiterhin würde auch gefährliche Großtechnologie in kleineren autonomen Einheiten viel schlechter zu verwirklichen sein. Deshalb will ich ein paar Thesen formulieren, wie sie meiner Meinung nach als Alternative zu dem ganzen Europazug entwickelt werden müßte.

1. Schon die heutigen politischen Einheiten, sprich Nationalstaaten, sind zu groß. Die Autonomie von regionalen Zusammenhängen muß verstärkt werden. (siehe Republik freies Wendland.

2. Die Verschiebung von Produkten (industrieller und agrarischer Art muß erschwert werden, nach dem Motto „Produzieren nach regionalem Bedürfnis und Vermögen“. Nur dort Warenaustausch, wo es aus dem Bedürfnis der Regionen sinnvoll ist.

3. Diese Struktur muß nicht automatisch einen verbohrten Chauvinismus zur Folge haben. Durch die vorhandene informative Infrastruktur ist eine Solidarität zwischen den verschiedenen Regionen möglich und zu entwickeln. Dieses wird auch erreicht durch regen kulturellen Austausch zwischen den Regionen, ohne daß die jeweiligen Besonderheiten aufgegeben werden müssen.

Wolfgang Eisenberg, Republik freies Wendland

Realo-Originalton Udo Knapp: „Ich bin gegen jede Grenze“ löblich! Dann aber: „Also wenn wir tatsächlich eine ökologische Zukunft wollen, können wir die Grenzen eben nicht aufmachen.“ Also doch Grenzen? Dagegen steht aber die folgende politische Nullaussage Knapps: „Ich bin für den Binnenmarkt, das ist überhaupt keine Frage für micht, weil ich denke, das hat auch seine Vorteile.“ Also doch keine Grenzen? Resümee realpolitischer Orientierungslosigkeit: „Das ist zweifellos ein Zielkonflikt.“

Irgendwie ist unser Trierer Kreisverband der Grünen da schon ein Stück weiter. Die „Vorteile“ des geplanten Binnenmarktes haben sich uns jedenfalls noch nicht eröffnet. Wir sind daher, und das ist für uns überhaupt keine Frage, gegen den Binnenmarkt, weil wir denken, der hat nur Nachteile. Wir sind ebenso gegen die Beibehaltung nationalstaatlich definierter Wirtschaftsräume, weil diese den ökologischen und weltwirtschaftlichen Problemen unserer Zeit nicht gerecht werden. Alternative: ein Europa der kooperierenden Regionen, Demokratisierung der EG -Entscheidungsgremien und eine Wirtschaftspolitik, die auf die Gleichwertigkeit - und nicht auf die Vereinheitlichung - der Lebensbedingungen in den Regionen abzielt. Den politischen Ansatzpunkt zur Umsetzung dieser Alternative bieten die Kriterien der Wirtschaftsförderung auf allen administrativen Entscheidungsebenen - sie müssen im Sinne der Förderung ökologisch und sozialverträglicher sowie an den konkreten Problemen und Ressourcen der einzelnen Regionen orientierter Produktionen umgestaltet werden. Dafür bieten sich von den Kommunalparlamenten bis hin zum EG-Parlament politische Handlungsmöglichkeiten grüner Fraktionen. Diese Alternative ist nicht der „große Wurf“, der dem anstehenden Europa des Kapitals entgegengesetzt werden könnte; sie ist eher eine Leitlinie grüner Politik, die jeweils in einer auf die gegebenen Lebensbedingungen bezogenen Weise regional konkretisiert werden muß. Wie mensch aber dem anstehenden EG-Binnenmarkt gute Seiten abgewinnen kann, wird wohl auch weiterhin das realpolitische Geheimnis Udo Knapps bleiben. Gegenüber diesem europäischen Projekt hilft von Seiten der Grünen nur Obstruktion und Widerstand - wer einen derartigen Widerstand mit der Befürwortung der Beibehaltung nationalstaatlicher Grenzen durch Grüne gleichsetzt, ist bereits jenem binären Denkschema verfallen, dessen entweder -oder-Logik wir doch durch eine dezentrale Utopie der Selbstorganisation aufheben wollten.

Heinz-Jürgen Stolz, Trier

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