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Linientanz zum DKP-Geburtstag

Zum 20.Geburtstag am kommenden Montag steckt die DKP in ihrer schwersten Krise / Zum Mitgliederschwund kommt eine Opposition, die eine Stalinismusdebatte und die Parteierneuerung fordert  ■  Von Reiner Scholz

Wo bleibt das Positive, mag sich der Genosse Willi Mohn Anfang September auf der 13.Tagung des Parteivorstandes gefragt und dann das Wort an die Genossen gerichtet haben. Voller Stolz berichtete er von der Sonderausgabe der Langenselbolder DKP-Zeitung '20 Jahre DKP‘. Die war ein voller Erfolg: „Das ist eine umfangreiche Nummer von 32 Seiten. Warum? Wir haben hier 22 Seiten Annoncen aus unserer kleinen Stadt mit 11.000 Einwohnern.“ Alle Geschäfte, Friseure, Bäcker und Wirtschaften mußten aufgesucht werden. „Zum Fest stellen“, wie Willi Mohn hervorhob, „viele Vereine, Turnvereine, Gesangvereine Mannschaften ab fünf Mann für die Biertheke, Weintheke, Essenstheke ...“ Willi Mohn schließt vor dem versammelten, 94köpfigen Parteivorstand: „Genossen, da ist Politik gemacht.“

Ja, in Langenselbold, da ist die Welt noch in der Ordnung, die in den letzten Jahren im Land des deutschen Kommunismus gründlich aus den Fugen geraten ist. Die vielbeschworene Einheit der Partei ist jetzt auch öffentlich nur noch ein hohler Mythos. Auf der letzten Parteivorstandstagung konterte jetzt gar eine Gruppe von Perestroika-Befürwortern das Perspektivprogramm der Parteiführung BRD 2000 mit einem umfangreichen Minderheitenentwurf. Fünf Vorstandsmitglieder, darunter die Parteivorsitzenden aus Bremen, Essen und Köln, aber auch des „Marxistischen Studentenbundes“ (MSB) und der „Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“ (SDAJ), formulierten ein Perestroika -Gegenpapier und beharrten darauf - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der DKP.

Sie kritisieren am Mehrheitsentwurf und dem Zustand der Partei, daß „der Stalinismus ein Tabuthema bleibt“ und im Präsidium und Sekretariat der Partei Genossen sitzen, deren politischer und sozialer Erfahrungsbereich „verengt“ sei. Sie monieren die auffallend geringe Frauenpräsenz in den oberen Parteigremien, eine „Neigung zum Dogmatismus“ und einen „heimlichen Antiintellektualismus“. Sie fordern mehr „plebiszitäre Elemente“ (Parteiumfragen etc.), demokratischere Wahlen, eine Änderung des „psychologischen Klimas“ und eine „schonungslose Analyse der eigenen Entwicklung“. Es kommt in ihrem Papier sogar Endzeitstimmung auf: „Viele GenossInnen zweifeln daran, daß mit der DKP noch etwas zu verändern ist. Gleichzeitig werden große - zum Teil letzte - Erwartungen an den bevorstehenden Parteitag geknüpft“.

Perestroika mit

DKP unvereinbar

Ihre Thesen sind eher moderat, in Karlsruhe, Hamburg und Bremen hat man das schon erheblich schärfer gehört. Doch die Führungsriege schäumte. Otto Hans, gefürchteter Oberschiedsrichter der Partei, und Heinz Czymek, der sich gern als „Sieger von Rheinhausen“ feiern läßt, riefen nach Konsequenzen. Der Zentrist Herbert Mies erklärte zwar die vorgelegten Positionen als „nicht vereinbar“ mit der Vorstandsmeinung, konstatierte aber die Notwendigkeit eines offenen Diskussionsklimas. Am Ende der Tagung stimmten 18 Genossen des 94köpfigen Parteivorstandes offen gegen das Papier der Führung (Zwischenruf Uwe Knickrehm: „Alle unter 40!“) und unterstützen damit indirekt das Minderheitenpapier. Wie nie zuvor blasen die Glasnost- und Perestroika-Vertreter im Vorfeld der Delegiertenwahlen zum Parteitag im Januar zum Aufbruch.

In diesem Zustand begeht die Partei ihren 20.Geburtstag. Wenn am 26.September im Parteihochhaus in Düsseldorf die Krimsektkorken knallen, wird mancher sich sorgenvoll fragen, ob die Partei überhaupt die innere Kraft hat, die rasante Talfahrt in den Zustand absoluter Bedeutungslosigkeit noch aufzuhalten. Seit 1986 haben ihr ein Fünftel der Mitglieder den Rücken gekehrt. Doch auch die noch verbliebenen 37.000 GenossInnen haben oft keine rechte Lust mehr. Einer internen Umfrage zufolge gaben 94 Prozent der 'UZ'-Abonnenten an, das Zentralorgan nur noch unregelmäßig zu lesen. In Norddeutschland hat gar jeder zweite es glatt abbestellt.

Stalinistische Sozialisation

Vor allem fehlt es denen, die immer wieder an die Schalthebel der Parteimacht gewählt worden sind, an der Fähigkeit, die Weltlage überhaupt noch zu begreifen. Die Führungsgruppe um Herbert Mies, die stellvertretende Vorsitzende Ellen Weber und andere haben sämtlich ihre politische Sozialisation während der Illegalität der West -KPD von 1951 bis 1968 (!) in der muffigen, nach stalinistischen Prinzipien gelenkten DDR erhalten. Diese FDJ -Gruppe verdrängte 1973 den seit der Wiederzulassung amtierenden Vorsitzenden Kurt Bachmann von seinem Posten. Bachmann, der sich bis heute bester Gesundheit erfreut, sei zu alt, hieß es damals. Andere Thronaspiranten wie der aufgeschlossenere, ebenfalls nicht in der DDR geschulte Manfred Kapluck, wurden mit dem Argument, sie seien Alkoholiker, parteiweit abgehalftert.

Anfang der siebziger Jahre konnte die DKP durch eine stringente betriebliche Interessenvertretung und den Zerfall der APO-Linken erheblich an Einfluß gewinnen. Doch, ob Teilnahme an Friedens- oder Frauenbewegung, nie konnte die Partei, deren einzelne Mitglieder als zuverlässige Mitstreiter in vielen Initiativen Anerkennung gewannen, das Odium abschütteln, von der großen Bruderpartei SED gelenkt und bezahlt zu werden. Sie unterstützte - als bezeichnenden Geburtsfehler - den Einmarsch der „Bruderparteien“ in die Tschechoslowakei (zu diesem Anlaß gab es bereits die ersten Parteiausschlüsse), was sie bei Demokraten und der „Neuen Linken“ von Beginn gleichermaßen unglaubwürdig machte. Sie behauptete, die Atomkraft in der DDR sei sicher, was die Partei bei der Ökobewegung nachhaltig in Mißkredit brachte. Und sie unterstützte 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Da liefen ihr die Künstler und Intellektuellen davon.

Als letzte große Saubermachaktion betrieben Otto Hans, Chef der allmächtigen Schiedskommission und „Org.-Leiter“ Kurt Fritsch (früher Chef der kräftigen FDJ-Ordnertruppe), in den Jahren 1984 bis 1986 mit Erfolg (und widerlicher Kolportage inquisitorischer Bettgeschichten) den Parteiausschluß aller Mitarbeiter des linken Düsseldorfer Theorieorgans 'Debatte‘, unter ihnen Thomas Neumann und Agnes Hüfner. Auch Parteikritiker Helmut Krebs, der ehemalige stellvertretende Kreisvorsitzende aus Karlsruhe, aus dessen Papier die taz kürzlich zitierte (15.3.88) wurde mittlerweile ausgeschlossen.

Alles spitzt sich nun auf den neunten Parteitag im Januar zu. Auf die Wiederbesetzung des Throns spekuliert vor allem Herbert Mies, der im Kampf zum Erhalt seiner Macht von Sitzung zu Sitzung anders durch die Fährnisse der Krise zu schlingern sucht. Genau diese Uneindeutigkeit wird ihm von dem anderen Thron-Aspiranten, dem Hardliner Heinz Czymek (Parteijargon: der „Bottroper Gesamtarbeiter“), vorgeworfen. Dieser will die Partei, in der mittlerweile 32 Prozent aller Mitglieder über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen, wieder auf den schwieligen Arbeiterkurs trimmen. Czymek ist es auch, der immer wieder gern Gorbatschows Gegenspieler Igor Ligatschow zitiert.

Die nunmehr offensiv hervortretenden Perestroika-Anhänger, deren Hochburgen Bremen, Hamburg, Köln und Stuttgart sind, haben sich für den Parteitag etwas Besonderes ausgedacht. Sie wollen über das Mittel der für eine demokratische Partei sicher selbstverständlichen „Frauenquotierung“ die alte Garde aushebeln. Derzeit sind Frauen nur zu zehn Prozent in Präsidium und Sekretariat vertreten, stellen aber 47 Prozent der Mitglieder. Gelingt das, wird es eine nahezu komplett neue Führungsriege geben.

Stalinismus-Debatte droht

Doch schon schwebt über der durch die Macht der Wirklichkeit schwer gebeutelten Partei ein neues Damoklesschwert: die fällige, noch kaum begonnene Stalin-Debatte. Die KPdSU hat den deutschen GenossInnen nämlich vollen Einblick in die in Moskau lagernden Parteiarchive angeboten. Da in der Tat sieht es düster aus. Nicht nur, daß Stalin als Morgengabe zum Hitler-Stalin-Pakt 800 Antifaschisten, die in der Sowjetunion Zuflucht suchten, den faschistischen Henkern ausliefern ließ. Von den 1.500 deutschen Kommunisten, die in der SU bleiben durften, sind lediglich etwa 700 mit der Gruppe Ulbricht wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Die restlichen sind vermutlich sämtlich in der Sowjetunion umgebracht worden, von vielen fehlt bis heute jede Spur. Weil diese Akten auch darüber Auskunft geben könnten, wer von den bekannten deutschen GenossInnen der Nachkriegszeit den Stalinisten damals beim großen Saubermachen half, hat Vorsitzender Herbert Mies das großzügige Angebot der Einsichtnahme mit internationalistischer Gönnergeste abgewunken. Hier handele es sich um die gemeinsame Vergangenheit aller deutschen Kommunisten, deshalb wolle er nur zusammen mit den anderen Bruderparteien SED und SEW die brisanten Unterlagen auswerten.

Die kommenden Monate versprechen einen spannenden Wettlauf zwischen dem Hasen „Verdrängung“ und dem Igel „Aufarbeitung“. Schon hat das Sekretariat des Parteivorstandes das „Bildungsjahr 1988/89“ kurzerhand verschoben - ein absolutes Novum in der Geschichte dieser sehr ordentlichen, bildungshungrigen Partei. Thema ist nämlich: 70 Jahre KPD und die sowjetische Geschichte. Mit großer Spannung warten alle auf den Parteitag. Den letzten übertrug das DDR-Fernsehen live jeweils fünf Stunden pro Tag (!) in ihre Republik und die Wohnstuben aller bundesrepublikanischen GenossInnen. Das wird wohl wegen der zu erwartenden Brisanz beim nächsten Mal unterbleiben. Schade für die GenossInnen in Langenselbold. Wenn der deftige Streit nicht übertragen wird, können sie gar nicht ermessen, wie gut es ihnen eigentlich geht.

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