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Eintagsfliegen und Nachtschwärmer

■ Im Fotoforum geben sich ausstellende Künstler täglich die Forums-Klinke in die Hand und zwischen Schwarz-Weiß-Fotos und Performance ist für einen Tag alles drin

Bilder gegen die Bilderflut - so paradox und unsinnig das Konzept des Fotoforums zunächst schien, als so spannend und erfolgreich erweist es sich mittlerweile. Aus Protest gegen die schier unüberschaubare Bilderschwemme des Kunstfrühlings wollten die Forums-Mitglieder nicht auch noch eine einzige geschlossene Ausstellung beisteuern - stattdessen aber gleich 13 mit 16 KünstlerInnen! Der Witz daran: sie wechseln täglich, und zwischen Schwarz-Weiß-Foto grafie und Foto-Performance ist alles drin.“ Eintagsforum“ nennt sich dieses Programm, genauer wäre allerdings „Nachtforum“. Die meisten Aktionen sind nur die wenigen Stunden nach der allabendlichen Eröffnung zu sehen, schon am nächsten Morgen rückt die Kollegin nach. Vor Überraschungen ist man nicht sicher, manchmal stehen die BesucherInnen gar vor verschlossener Tür: Wolfgang Stemmer hatte für eine Spiegelung der „Reste des

Authentischen“ die gesamte äußere Fensterfront der Galerie mit silbriger Folie überzogen. Ein streichholzschachtelgroßer Einschnitt in Augenhöhe gewährte Einblick und Einsicht, wie (umwelt-)kritische Reflektion gleichzeitig ästhetisch und eindringlich dargestellt werden kann. In einem beleuchteten Kasten waren verbrannte und geknüllte schwarz-weiß Negative übereinandermontiert, daß es sich um Fotografien toter Seehunde handelte, war allerdings nicht leicht zu erkennen. Doch auch ohne das Wissen um dieses (für Stemmer entscheidende) Motiv, blieb das Morbide der Szene beeindruckend, zumal ein Schritt zurück neben dem Guckloch das verschwommene Spiegelbild der Betrachter zeigte: die Neugierigen als Voyeure ihrer eigenen Missetaten und ihrer Unfähigkeit, das Authentische weder in sich noch außerhalb zu bewahren.

Die verspiegelte Scheibe erfüllte auch am nächsten Tag ihren

Zweck, als Hermann Stutzmann „Fischstäbchen mit Musik“ servierte. Das winzige Geviert wurde zum Bildschirm für ein Video, das Stutzmann während einer Aktion in Berlin zeigt. Das Zerbrechen der Holzlatten, sprich Fischgräten, das Krachen des Rückgrats, wurde schmerzhaft hörbar durch schräge Töne aus dem Lautsprecher.

Ungewohnte Klänge auch in der Foto-Performance von Herve Maillet und Uta von Kameke. Während letztere mit Stimme, Zinnwanne und Infusionstropf improvisierte, machte sich der Fotograf auf die Jagd nach dem Augenblick. Im verdunkelten Raum fixierte er Schatten und Blitze auf den mit Fotopapier verhängten Wände. „Hombrographie“ nannte er das Bannen flüchtiger Momente, ein Wortspiel, abgeleitet aus dem spanischen „hombre„für Mensch und dem französischen „ombre“ für Schatten.

Aber es gab (und gibt) nicht nur Spektakuläres, sondern auch eine Fotoausstellung der stillen Art, schön schwarz -weiß und im Wechselspiel aus dezenter Irritation und durchdachter Ästhetik. Unter den Arbeiten von Ulrich Haas fiel eine dreiteilige aus Landschaft und Mann auf: wer erträumt, erschafft hier wen? Die Foto-Sequenzen der Finnin Anja Pursianen bestachen durch das Ab-und Auftauchen in Fluten aus Schwarz und Weiß. Federleichte weiße Schatten blieben zurück und bei aller Poesie wurde Sinn für Humor sichtbar, wenn Pursianen so sperrige Motive wie nackte Beine oder einen Struwwelkopf zum Ausgangspunkt nahm.

So gibt es auch im Foto-Forum-Frühling viel zu sehen, aber vor allem zu erleben. Heute abend will Ingrid Meyer ihr „Transkript“ offenlegen, morgen Marikke Heinz-Hoek Bilder und Videos versunkener Dörfer vorführen. Bis zum 28.9. werden die Eintagsfliegen und Nachtschwärmer schlüpfen, dann herrscht Herbst im Forum, das übliche Ausstellungsprogramm schließt sich an.

Beate Naß

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