In aller Offenheit

Die bulgarische Pianistin Nadja Geneva-Brase spielte am Freitag im Syker Rathaus Stücke des 19. Jahrhunderts mit technischen Fehlern, Ungenauigkeiten und Gedächtnislücken  ■  Von Andreas Lieberg

Im Syker Rathaus wird in diesem Herbst eine recht umfangreiche Konzertreihe angeboten, etwas bieder in die drei Sparten „Kleinkunst“, „Rathauskonzert“ und „Das große Konzert“ gegliedert. Am Freitagabend trat die bulgarische Pianistin Nadja Geneva-Brase in einem „Rathauskonzert“ auf. Geneva-Brase ist in Bulgarien aufgewachsen und hat am Konservatorium von Sofia ihr Konzertexamen mit Auszeichnung bestanden. Seit 1983 lebt sie in Bremen und versucht nun, sich auch hier als Pianistin einen Namen zu machen.

Es gibt bei uns, nicht nur in Bremen, viele gute PianistInnen, die hart um einen Platz im konventionellen Konzertleben kämpfen. Es kann offen gesagt werden - und Nadja Geneva-Brase verdient Offenheit: Das Konzert in Syke hat nicht dazu beigetagen, daß Geneva-Brase im Konzertbetrieb Fuß faßt. Sie ist sicherlich eine gute Pianistin, die auf eine gute Ausbildung zurücksehen kann, sie schien aber während des ganzen Konzerts unter einem ungeheuren Druck zu stehen, der ihr Spiel bestimmt hat. Dieser Druck erklärt die vielen technischen Fehler, die Ungenauigkeiten und die Gedächtnislücken. Zudem verhinderte er - und das allein war entscheidend - daß sie in die Musik hineinkam. Technische Fehler und auch Gedächtnislücken können den musikalischen Genuß nur beeinträchtigen. Ein Konzert kann trotzdem

Spaß machen, wenn das Spielen einen Ausdruck behält, der aus der Musik selbst entsteht.

Erschwerend war auch die Programmauswahl. Geneva-Brases besondere Fähigkeiten scheinen in rhythmischer Sicherheit und ruhigem Ausdruck zu liegen. Das Programm bestand aber nur aus Stücken aus dem 19. Jahrhundert, die alle eine Kombination von virtuosem Spiel und persönlichem Ausdruck verlangen.

Es begann mit den „Bildern einer Ausstellung“ von Modest Mussorgski. Mussorgski verarbeitet in diesen musikalischen Bildern Eindrücke einer Ausstellung mit Werken des mit ihm befreundeten russischen Malers und Architekten Viktor Hartmann. Die Musik lebt durch die Bildhaftigkeit der musikalischen Sprache. Vom Interpreten fordern die „Bilder einer Ausstellung“ Lebendigkeit und musikalischen Farbenreichtum, - das sind nicht gerade die Stärken Geneva -Brases.

Ach die „Fantasia quasi Sonata“, die Franz Liszt „Apres une lecture du Dante“ komponierte, fasziniert nur, wenn pianistische Brillanz und expressive Gestaltung zusammentreffen.

Angemessen war die distanzierte Gestaltung bei „Gaspar la Nuit“ von Maurice Ravel. Leider hatte Geneva-Brase durch den ständigen Druck während des gesamten Konzertes am Ende zu viel Kraft verbraucht, so daß technisch nicht mehr viel ging.

Es gibt ungeschriebene Regeln des Konzertbetriebes, nach de

nen PianistInnen sich vor allem durch virtuose Stücke aus dem 19. Jahrhundert profilieren können.

Immer mehr PianistInnen verlassen jedoch diese konventionelle Schiene und spielen, den Reichtum der Klavierliteratur nutzend, ungewöhnliche, ihrer Persönlichkeit entsprechende Konzerte.

Eine Möglichkeit auch für Nadja Geneva-Brase.