: DAS TEMPERAMENT DER TSCHECHEN
■ Gidon Kremer Werkstatt im Kammermusiksaal
„Man weiß, daß Gidon Kremer sogar etwas für Popmusik übrig hat“, so nachzulesen im Programmheft zum Konzert mit den drei Violinsonaten Johannes Brahms. Es bildete den Auftakt einer vier Konzerte umfassenden „Werkstattreihe“ im Kammermusiksaal mit Gidon Kremer und seinem Ensemble. Hiermit sollte wohl ein Zusammenhang zu den folgenden drei Konzerten hergestellt werden, in denen Kremer Kammermusikwerke dreier tschechischer Komponisten der Jahre 1914-1959 vorstellte. Leos Janacek, Erwin Scholhoff und vor allem Bohuslav Martinu rezipieren in ihren Werken immer wieder Elemente zeitgenössischer, populärer Musik.
Angekündigt war der Brahmsabend ebenfalls als „Werkstatt„ -Konzert, daß dieser jedoch recht wenig mit der eigentlichen Werkstattreihe zu tun hat, ahnte man. Letztendlich wird es sich wohl um ein „Festivalmißverständnis“ gehandelt haben; Brahms gehörte thematisch wohl mehr in den Festwochentopf und die Werkstattreihe („Berlin - Ort des Neuen“), in die E'fe2'88 Kategorie. Solche Mißverständnisse sind nachzusehen, etwas festivalmüde sind wir alle; der Kammermusiksaal war immer nur halb gefüllt. A propos „Werkstatt“, - ein Begriff, der für E'fe2'88 zur Maxime erhoben wurde - was ist das eigentlich? Soll hier „Unfertiges“ oder vielleicht eher „Unerprobtes“ zu Gehör gebracht werden? Oder sollen Einblicke in Arbeitsprozesse gegeben werden? Es entsteht der Eindruck, so genau weiß niemand, was von einer „Werkstatt“ zu erwarten ist. Vielleicht ging es im vorliegenden Fall darum, sich eine Legitimation zu verschaffen, solche Komponisten und Stücke vorzustellen, an denen unser Repertoire gewöhnlich vorbeigeht.
„Werkstatt“ also kaum, viel eher mit „Brahmsmarathon“ könnte der erste Abend überschrieben werden; die drei Sonaten von Johannes Brahms wurden ohne Pause gespielt. Kaum war ein Satz verklungen, setzten Kremer und sein Pianist Valerij Afanassiew erneut an. Physische und psychische Erschöpfung zählten für die Musiker nicht, im Gegenteil, sie vermitteln das Gefühl, die „Droge“ Anspannung zu benötigen, um den großen Bogen der drei Sonaten, eine ständige interpretatorische Steigerung vollziehend, zu bewältigen. In der d-moll Sonate op. 108 gehen Kremer/Afanassiew an die Grenzen des dynamisch und musikalisch realisierbaren, überschreiten diese jedoch nicht. Das Leise klang gelegentlich brüchig und das Laute schien fast die Grenzen der Gattung zu sprengen, zumal in der knalligen Akustik des Kammermusiksaals. Der Dramatik der Sonate wird gelegentlich ein exzentrisches Moment beigemischt und entlädt sich im „Presto agitato“ des letzten Satzes. Am Ende Ovationen.
In der Intensität der musikalischen Anspannung konnte am Mittwoch abend Janaceks Sonate für Violine und Klavier anknüpfen. Hier stand Kremer der junge Olli Mustonen zur Seite. Der Pinanist, präzise versunken in die Musik, ließ Impulse von seinem intensiven Spiel ausgehen, die Kremer sensibel umzusetzen vermochte. Die geballte pianistische Kraft, die Mustonen verströmte, kam der Musik zugute; moderne perkussive Effekte wechseln mit Romantizismen ab. Mit temperamentvoll wilden Elementen schließt die Sonate im dritten Satz.
Temperament ist wohl keinem der drei Komponisten abzusprechen, dies wurde am Freitag nochmals deutlich. Schulhoffs Konzert für Streichquartett und Bläser setzt dem solistisch geführten Quartett die massigen Bläserblöcke des Tutti entgegen. Das Verhältnis von Soli und Tutti ist hier ein eher konventionelles, im Gegensatz zu Janaceks Concertino für Klavier und Kammerensemble, wiederum mit dem vorzüglichen Mustonen als Solist.
Komisch ging es im „Rausschmeißer“ des Abends und der gesamten Reihe zu. Marinus Suite „La revue de la cuisine“, zusammengestellt nach seinem Ballett „Die Versuchung des scheinheiligen Kochtopfs“, greift ironisierend auf Bekanntes und Jazziges zurück. Hier war einmal mehr zu beobachten, wie präzise das junge Ensemble musizierte - angeleitet von G. Kremer und zu Diensten dreier temperamentvoller Tschechen.
Anno Mungen
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