Berlin-Status-betr.: "Auf jeden Banker ein Polizist", taz vom 15.9.88

Betr.: „Auf jeden Banker ein Polizist“,

taz vom 15.9.88, S. 1

Da werden kurzerhand 2.700 Polizeibeamte aus der Bundesrepublik nach Westberlin verfrachtet und die DDR läßt sich einmal mehr diesen Verstoß gegen den Berlin-Status bieten - wohl hofend, dafür in der nächsten Zeit von der BRD und ihren Medien etwas weniger attackiert zu werden. Pustekuchen! Sobald es den geringsten Anlaß gibt - (...)ist die nächste Anti-DDR-Kampagne da, inclusive einstimmiger Bundestagsresolution, ZDF-Sonderkorrespondenten und grüner Inspektionsreise vor Ort.

Für uns im „freien Westen“ zeigt das irrsinnige Polizeiaufgebot anläßlich der IWF-Tagung erneut die Beschränktheit der real existierenden Demokratie, ihren Charakter als Einschüchterungsstaat, in dem Opposition zwar selten völlig verboten, aber auch nie richtig erlaubt ist: Da gibt es Gegenveranstaltungen, aber überwacht und registriert von „1.000 Beamten in Zivil“. Es gibt auch Protestdemos, aber nur massivst behinderte, bei denen die ansonsten so gepriesene Feizügigkeit schlicht abgeschafft wird.

Was hier seit Jahren bei allen größeren und vielen kleineren Protestaktionen staatlicherseits praktiziert wird, könnte man als selektiven Ausnahmezustand bezeichnen. Dieser selektive Ausnahmezustand hat keineswegs zum Ziel, sämtlichen Protest auf der Stelle zum Schweigen zu bringen es soll ja immer wieder das Märchen vom „freiesten Rechtsstaat“ erzählt werden können.

Aber es werden alle Maßnahmen des Ausnahmezustands getroffen, (...) um Beteiligung an Protesten herunterzudrücken, diese mehr und mehr einzuschnüren und zu ghettoisieren (inwiefern wir da teilweise auch noch Vorschub leisten, steht auf einem anderen Blatt).

Dies geschieht sowohl durch konkrete Repressalien (Zusammenschlagen, Massenfestnahmen, Hamburger Kessel, etc.) als auch mittelbar durch deren Abschreckungswirkung. Kennzeichnend für den selektiven Ausnahmezustand ist weiter, daß er ein Wesenselement des politischen Protests nicht mehr duldet, das den enscheidenden Unterschied zur politischen Bittstellerei bedeutet: nämlich das politische Anliegen nicht nur öffentlich, sondern auch in einer eine gewisse Mächtigkeit verkörpernden Form zu äußern, was ein momentanes Zurücktreten von Staatsgewalt impliziert. Statt dessen wird fast jede Protestaktion zu einer Demonstration staatlicher Omnipotenz umfunktioniert, was am sinnfälligsten bei den teilweise zu reinsten Gefangenentransporten gewordenen Demoumzügen ist. Protestteilnehmer werden von einem handelnden Subjekt zu einem behandelten Objekt gemacht (Ausweiskontrollstellen, Video-Erfassungen, etc).

Insofern ist die BRD zwar kein traditioneller Polizeistaat in dem Sinne, daß auf politische Konflikte hauptsächlich mit direkten Verboten reagiert wird, aber durchaus so etwas wie ein Polizeistaat neuen Typus, in dem Behinderung und Einschüchterung anstelle des vielzitierten Diskurses das zentrale Mittel zur Konfliktbewältigung bilden. Wer etwa glaubt, dieser Polizeistaat neuen Typus sei gegenüber dem traditionellen (z.B. a la DDR) ja immerhin eine Verbesserung, hat nicht viel begriffen.

Gunter, Mannheim